13. Internationales Filmfestival Marrakesch:Heimlicher Sehnsuchtsort der Stars

Martin Scorsese und Sharon Stone

Martin Scorsese ehrt Sharon Stone in Marrakesch mit dem Preis für ihr Lebenswerk. Der Regisseur war bei dem Festival Vorsitzender der Jury.

(Foto: Festival International Du Film Marrakech)

Nach Cannes eingeladen zu werden - das ist das große Ziel aller Filmstars. Oder nach Marrakesch. Auch wenn es sie dorthin nicht so sehr aus Karrieregründen zieht, sondern weil der Traum von 1001 Nacht selbst auf Berühmtheiten eine große Anziehungskraft zu haben scheint. In diesem Jahr kam Martin Scorsese, und er war längst nicht der Einzige.

Von Paul Katzenberger, Marrakesch

"Marrakesch" - allein das Wort lässt viele Menschen im Westen vom Zauber des Orients träumen, von kuppelgekrönten Märchenschlössern aus 1001 Nacht, von Palmen und Wassergärten, von quirligen Souks, Schlangenbeschwörern und dem Thé à la Menthe, der so gar nichts mit unserem Pfefferminztee zu tun zu haben scheint.

All diese Assoziationen haben schon im 19. Jahrhundert Bohemians wie Hugo von Hofmannsthal oder Henri Matisse in die "Perle des Südens" gelockt, wie die marokkanische Königsstadt genannt wird. In den Sechzigern war der Ort mit seinen rostroten Festungsmauern ein Sehnsuchtsort der Hippies, nachzulesen in James Micheners Bestseller von 1971, "Die Kinder von Torremolinos".

In den vergangenen Jahren lockte das orientalische Flair dann viele Prominente an: Alain Delon und Mick Jagger kauften sich hier Villen, wohlhabende Franzosen haben hier inzwischen gerne ihren Zweitwohnsitz. Auch Madonna, Gwyneth Paltrow und Brangelina nehmen am Rande des Atlasgebirges gerne eine Auszeit, wenn das Wetter in unseren Breiten allzu garstig wird - etwa im legendären Grandhotel Mamounia oder anderen Luxuspalästen wie dem Es Saadi Palace mit Poolanlagen und Palmenhainen.

Vieles von der Morgenland-Romantik ist ein Klischee - Marokko ist vor allem ein bettelarmes Land mit Demokratiedefiziten und erschreckend vielen Analphabeten. Doch dank dem 1001-Nacht-Nimbus gelingt es dem Internationalen Filmfestival Marrakesch nun schon seit Jahren, eine beeindruckend große Zahl von weltbekannten Stars anzulocken. Bei seiner 13. Austragung war der Starfaktor in diesem Jahr mit Namen wie Martin Scorsese, Sharon Stone, Juliette Binoche, Marion Cotillard und etlichen anderen Filmemachern von Rang umwerfend hoch und deutlich größer als etwa beim sehr viel traditionsreicheren Filmfestival von San Sebastián, das wegen der Finanzkrise in Spanien lediglich die Reisekosten für Annette Bening und Hugh Jackman schultern konnte.

Dabei legt Marrakeschs Festivaldirektorin Melita Toscan du Plantier Wert auf die Feststellung, dass kein Star für sein Erscheinen bei Nordafrikas größtem Filmfestival bezahlt wird. Dass die Berühmheiten trotzdem kämen, liege an etwas anderem: "Was uns von anderen Top-Festivals unterscheidet, ist die Möglichkeit, zu entspannen und über das Kino zu reden."

Traumatisiert und verfemt

In der Tat bot das Festival ein verhältnismäßig entzerrtes Programm, gleichzeitig aber sehr viele Möglichkeiten, sich mit Filmemachern auszutauschen - etwa im Rahmen der vielen "Masterclasses", die so gut wie jeden Tag angeboten wurden. In einer dieser Lehrstunden meldete sich etwa Nicolas Winding Refn ("Drive" "Only God Forgives") mit der Feststellung zu Wort, dass er an alles wie an Pin-up-Magazin herangehe. "Ich mache Filme über das, was mich erregt."

Nicolas Winding Refn in Marrakesch

Ist ja auch hell hier: Nicolas Winding Refn mit Sonnenbrille in Marrakesch.

(Foto: Paul Katzenberger)

Im übersichtlichen Programm des Festivals präsentierte der künstlerische Leiter Bruno Barde eine solide Auswahl von Filmen, von denen die meisten in diesem Jahr bereits bei anderen Festivals aufgefallen waren. Allzu große Überraschungen waren also nicht zu erwarten: Carlos Machado Quintelas "Swimming Pool" etwa, lief bereits im "Panorama" der diesjährigen Berlinale und bekam in Marrakesch nun den Preis der Jury.

Der Kubaner teilte sich diesen mit Jeremy Saulnier, der für "Blue Ruin" ausgezeichnet wurde. Der Amerikaner hatte seinen Rache-Thriller in diesem Jahr bereits in Cannes, Locarno und in Toronto präsentiert.

Der Hauptpreis des Festivals, der "Goldene Stern" ging allerdings an einen Film, der im Westen bislang noch nicht zu sehen war. Das Drama "Han Gong-Ju" hatte der Südkoreaner Lee Su-Jin vor Marrakesch nur beim Festival in Pusan gezeigt, wo er dafür bereits zwei Auszeichnungen erhielt.

In dem Film lernt der Zuschauer erst zum Ende hin, warum ein Mädchen,das seine Familie aus unersichtlichen Gründen verlassen musste, jeden offenen Kontakt in der Schule vermeidet: Sie ist traumatisiert von einer Massenvergewaltigung, für die sie von der Umwelt verfemt wird.

Wut über die gesellschaftlichen Zustände

Der südkoreanische Regisseur erzählt das mit sehr viel Empathie für seine Protagonistin. Seine Fähigkeit, sich als Mann in das junge Mädchen hineinzuversetzen, zeugt von großer Sensibilität. Er sei wütend auf eine Gesellschaft, in der so etwas passieren könne, sagte Su-Jin in Marrakesch. Seine Geschichte beruhe auf einer wahren Begebenheit, die er in der Zeitung gelesen habe: "Ich habe lange Zeit nachgedacht, um mir darüber klar zu werden, was mich daran so sehr stört."

Didier Michon, Slimane Dazi und Narjiss Nejjar (von links)

Didier Michon und Slimane Dazi (von links) teilten sich in Marrakesch den Preis für den besten männlichen Darsteller, der ihnen von der marokkanischen Regisseurin Narjiss Nejar überreicht wurde.

(Foto: Karim Selmaoui Festival International Du Film Marrakech)

Die Wut über die gesellschaftlichen Zustände ist es auch, von der sich die marokkanischen Filmemacher einen Impuls erhoffen. Hicham Ayouch, der in Marrakesch mit dem Sozialdrama "Fevers" vertreten war, vergleicht die Situation in seinem Land nach dem arabischen Frühling mit der in Großbritannien und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg oder in Spanien und Portugal nach den Diktaturen unter Franco und Salazar: "Wir ringen im Augenblick um wirklich große Themen, wie die freie Meinungsäußerung oder die Gewissensfreiheit. Das Land entwickelt sich schnell - es gibt Hunderttausende Geschichten, die Dich anspringen."

"Fevers" spielt allerdings nicht in Marokko, sondern im arabischen Milieu in einem französischen Banlieu: Nachdem die alleinerziehende französische Mutter ins Gefängnis musste, kommt Sohn Benjamin zu seinem marokkanisch-stämmigen Vater Karim, der bei seinen gläubigen Eltern lebt.

Benjamin, der durch sein asoziales Umfeld geprägt ist, begehrt gegen Karim bis zu einem Punkt auf, an dem kein weiteres Zusammenleben möglich erscheint.

Diese bittere Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn stellten der algerische Schauspieler Slimane Dazi und der französische Jugendliche Didier Michon so überzeugend dar, dass sie sich zu Recht den Preis für den besten männlichen Darsteller teilten. Auch bei Kameraarbeit, Schnitt und Soundtrack überzeugte die französisch-marokkanische Koproduktion - wären die dramaturgischen Löcher im Drehbuch mit hastigen und unnachvollziehbaren Wendungen nicht gewesen, hätte "Fevers" das marokkanische Kino zumindest im Wettbewerb auf Augenhöhe mit Filmländern wie Südkorea, Japan, Polen oder Schweden gebracht, die dort mit insgesamt überzeugenden Filmen vertreten waren.

So erschien am Ende die Selbsteinschätzung Hicham Ayouchs nicht nur entwaffnend ehrlich sondern auch zutreffend zu sein: Der Regisseur hatte in Marrakesch den Mangel an guten marokkanischen Drehbuchautoren beklagt, viel zu viele Regisseure würden sich selbst das Drehbuch schreiben. Drehbuch-Autor bei "Fevers" war neben Aicha Yacoubi und Abdel Hafed Benotman niemand anderes als Hicham Ayouch.

Der Besuch des Festivals in Marrakesch wurde teilweise vom Veranstalter unterstützt.

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