47. Internationale Hofer Filmtage:Im falschen Leben

Ulrich Tukur bei den Hofer Filmtagen

Zum ersten Mal Gast bei den Hofer Filmtagen: Ulrich Tukur, der den Film "Houston" von Bastian Günther vorstellte, in dem er die Hauptrolle spielt.

(Foto: Hendrik Ertel)

Wie die Belastungen der modernen Gesellschaft zunehmend den Rückzugsraum der Familien ergreifen, war bei den diesjährigen Hofer Filmtagen ein häufig gezeigter Stoff. Ulrich Tukur trug in der Rolle eines alkoholabhängigen Familienvaters seinen Teil zur Thematik bei.

Von Paul Katzenberger, Hof

Wie der aktuelle Filmjahrgang ausfallen könnte, lässt sich regelmäßig bei den Hofer Filmtagen Ende Oktober ergründen. Das Festival in der oberfränkischen Provinz besticht durch kurze Wege, eine unprätentiöse Gastfreundschaft, legendäre fränkische Bratwürste, Stars zum Anfassen und zeigt mitten im Schlussquartal des Jahres vieles von dem, was der deutschsprachige Spiel- und Dokumentarfilm im laufenden Jahr zustande gebracht hat.

Auch der Blick in die mittelfristige Zukunft ist in Hof eine gut gepflegte Tradition: Dem Nachwuchs von den Filmhochschulen wird stets die Möglichkeit geboten, seine Kurzfilme aus dem Studium im Vorprogramm fast jeder Vorstellung zu zeigen.

Kino also aus allen Genres, von Jung und Alt, das auch bei der 47. Auflage der Filmtage durchaus ein paar Indikatoren dafür lieferte, was die deutschsprachigen Filmemacher des Jahres 2013 bewegt.

Regisseur Marc Rensing setzte etwa gleich mit seinem Eröffnungsfilm "Die Frau, die sich traut" ein solches Leitthema, indem er die Selbstfindung einer Mutter und Großmutter beschreibt: Beate Krüger (Steffi Kühnert) merkt, dass sie sich durch die jahrelange Aufopferung für die inzwischen erwachsenen Kinder von ihren eigenen Bedürfnissen weit entfernt hat. Als sie eine Krebsdiagnose bekommt, schaltet sie radikal um: Sie weiß, dass ihr die Zeit davonläuft, und sie hat doch noch einen alten Lebenstraum, den es mit aller Kraft zu verwirklichen gilt.

Steffi Kühnert in "Die Frau, die sich traut"

Auf dem Weg zu sich selbst: Steffi Kühnert als Beate Krüger in "Die Frau, die sich traut".

(Foto: X-Verleih)

Ob es alleinstehende Mütter sind wie Beate Krüger oder Patchwork-Familien, die Beschleunigung und der Verlust von Moral und Ethik in der Arbeitswelt oder prekäre Lebensverhältnisse in der Unterschicht: All diese Konstellationen setzen die Familien offensichtlich immer stärker neuen Belastungen aus. Die Filme in Hof kamen auf diese Erscheinungen zumindest immer wieder zu sprechen.

In "Es ist alles in Ordnung" befasst sich Grimme-Preisträgerin Nicole Weegmann beispielsweise mit dem Stiefvater Andreas (Mark Waschke), der mit der pubertierenden und rebellischen Tochter Sarah (Sinje Irslinger) seiner Frau Birgit (Silke Bodenbender) aus einer früheren Beziehung nicht klar kommt.

Immer wieder verliert er die Kontrolle und schlägt zu. Sarah hütet die ihr angetane Gewalt aus Scham und aus Gefühlsverwirrung gegenüber dem ambivalenten Stiefvater so lange als furchtbares Geheimnis bis auch Birgit der Realität ins Auge blicken muss.

Kontrollverlust zwischen Glasfassaden

Ein Geheimnis trägt auch Clemens Trunschka (Ulrich Tukur) in Bastian Günthers Drama "Houston" mit sich herum: In dem Film, für den Günther in Hof mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet wurde, hält er seinen Job als Headhunter im verlogenen Milieu der Großindustrie nur mit Alkohol aus. Sein Doppelleben droht gerade langsam aufzufliegen, als er den Auftrag bekommt, auf den er immer gewartet hat: Er soll für einen deutschen Autokonzern den amerikanischen Spitzenmanager Steve Ringer (Jason Douglas) von einem Ölkonzern abwerben.

Trunschka folgt Ringer ins texanische Houston, doch er merkt schnell, dass es auch dort praktisch unmöglich ist, an den hermetisch abgeschirmten Spitzenmanager heranzukommen. Langsam entgleitet ihm die Kontrolle über die Situation, er verstrickt sich mehr und mehr in der unwirklichen Welt zwischen Glasfassaden, Golfplätzen und seiner Wahrnehmung der Realität, während er seine Verpflichtungen gegenüber Frau und Kindern aus dem Blick verliert.

Ulrich Tukur als Clemens Trunschka in "Houston"

Freundschaftsrituale, aber doch allein: Clemens Trunschka (Ulrich Tukur) in "Houston".

(Foto: Farbfilm)

Wie Weegmann lässt auch Günther am Schluss offen, ob sein Protagonist jemals wieder in ein richtiges Leben finden wird. Mehr Hoffnung verbreitete da die Nachwuchs-Regisseurin Barbara Ott in ihrem Kurzfilm "Sunny", der im Arme-Leute-Milieu der Vorstädte angesiedelt ist. Hajo (Vincent Krüger) hält keinen Job lange durch, löst Konfliktsituationen am liebsten mit Gewalt und ist vor einem halben Jahr Vater geworden, was ihm nun die Rolle des Hausmanns eingetragen hat. Er merkt, wie er bei seinen Kumpels deswegen Respekt verliert. Als sich ein Jobangebot auftut, will er unbedingt zugreifen, auch wenn er seinen Sohn Sunny (Max Günther) alleine lassen muss und damit in größte Gefahr bringt. Erst als er realisiert, was er seinem Kind angetan hat, begreift Hajo, dass er doch schon im richtigen Leben angekommen ist.

Die selbst gewählte Einsamkeit war ein weiterer Lebensentwurf, mit dem sich Filmemacher in Hof mehrmals kritisch auseinandersetzten. In "Elisabeth" beziehungsweise "Camille" zeigen Katharina Woll und Martin Hawie die titelgebenden Frauenfiguren (Pascale Schiller und Fritzi Malve Voss) als Menschen, die sich von der Welt zurückgezogen haben und durch die jeweilige Begegnung mit einem Mann zurückfinden zu einem erfüllteren Selbst.

Logische Fortentwicklung

Als Zeichen des Angenommenseins bewertete auch Barbara Albert ihre Auszeichnung mit dem diesjährigen "Filmpreis der Stadt Hof". Der Preis bedeute ihr sehr viel, sagte die aus Österreich stammende Filmemacherin: "Weil ich seit drei Jahren in Deutschland lebe und so das Gefühl habe, dass ich eigentlich so ein Stück raus bin aus Österreich und hier hilft natürlich alles, das zeigt, du bist hier auch angenommen."

Mit der Preisverleihung an Albert setzten die Filmtage zudem ein Zeichen der Kontinuität, denn die Regisseurin, Drehbuch-Autorin und Produzentin ist seit Jahren mit ihren Filmen immer wieder in Hof vertreten, und nun war sie als Preisträgerin an der Saale.

Eine logische Fortentwicklung stellte in diesem Jahr auch die Werkschau für Michael Oblowitz dar. Der gebürtige Südafrikaner hat bereits fünf Mal die Kamera für Rosa von Praunheim geführt, und dem galt die Hofer Werkschau des vergangenen Jahres.

Von den erwähnten Beiträgen kommen folgende Filme in Kürze ins Kino:

"Houston", ab 5. Dezember

"Die Frau, die sich traut", ab 12. Dezember

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