9/11-Denkmal am "Ground Zero":Gigantisches Gedenken

Ein 700-Millionen-Dollar-Projekt, das dem größten Anschlag in der US-Geschichte gerecht werden muss - und doch: Irgendetwas stimmt nicht mit dem New Yorker 9/11-Denkmal. Die Gedenkstätte, die Obama am Sonntag einweiht, ist weit entfernt von patriotischem Kitsch. Der Grund für die Befremdung ist viel einfacher.

Jörg Häntzschel, New York

Im Oktober nahm der damals einunddreißigjährige, in Israel geborene und als Architekt für die Stadt New York arbeitende Architekt Michael Arad ein Stück Papier und zeichnete ein Denkmal für die Opfer von 9/11: Er stellte sich zwei leere Becken im Hudson vor, exakt so groß wie die Grundflächen der Twin Towers, in die von allen Seiten unaufhörlich das Flusswasser prasselte. Ein "kathartischer Akt" sei diese Zeichnung gewesen, meint er, der solche Worte sonst meidet.

ground zero, World Trade Center, 9/11

Mahnmal am Ground Zero: Fußabdrücke der Twin Towers.

(Foto: AP)

Als der Wettbewerb für das Memorial drei Jahre später ausgeschrieben wurde, hatte Arad seine Idee schon parat. Trotz aller Kontroversen über die Zukunft von Ground Zero konnten sich damals alle darauf einigen, dass der Grund, auf dem die Türme gestanden hatten, unbebaut bleiben und für ein Denkmal genützt werden sollte. Arad verlegte die Becken im Fluss einfach an den Ort, den sie repräsentieren sollten: die tiefen Gruben, in denen die Kellergeschosse der beiden Türme lagen, und die bei deren Einsturz ein Großteil der Trümmer - und der Opfer - verschluckten. Wenige Monate später wurde Arads Entwurf aus den 5200 Einsendungen ausgewählt.

Wenn Präsident Obama das Denkmal bei der Feier zum zehnten Jahrestag des Attentats am Sonntag eröffnet, wird das Schicksal der Menschen, die an diesem Ort starben, wieder und wieder beschworen werden. Doch die Verantwortlichen werden außer Trauer vor allem Erleichterung empfinden: Dass sie auf dem von Kränen umstellten, wie ein missglücktes Bild von M.C. Escher wirkenden Ground Zero zehn Jahre nach dem Attentat mit dem Denkmal überhaupt etwas Fertiges vorweisen können. Dass sie sich über Daniel Libeskinds Masterplan für Ground Zero hinweggesetzt haben. Und dass es gelungen war, den hitzköpfigen Arad in die Schranken zu weisen.

Libeskind hatte vorgesehen, nicht nur die "Fußabdrücke" der Türme, sondern die gesamte "Badewanne" des Twin-Tower-Fundaments zwanzig Meter tief abzusenken und dort einen Park, samt Wasserfall und Brücke einzurichten. Die rohen Mauern des Fundaments mit den Brandspuren und den Stümpfen der Eisenträger sollten erhalten bleiben, als permanente Erinnerung an die rohe Gewalt des Geschehens.

Als Arad sich die Wettbewerbsunterlagen ansah, stellte er fest, dass Libeskind das Memorial bereits entworfen hatte. Was war einem Park zwanzig Meter unter Straßenniveau noch hinzuzufügen? Gleichzeitig fand er Libeskinds Plan mehr als problematisch: Ein großer Teil der unbebauten Fläche von Ground Zero würde in ein begehbares Grab verwandelt und der Stadt entzogen. "Am wichtigsten war mir, den Ort wieder zum Teil der Stadt zu machen."

So entschied er sich, die Vorgaben einfach zu ignorieren. Dort, wo die Türme gestanden hatten, schlug er zwei quadratische Granitbecken in denselben Dimensionen vor. Wasser sollte von allen vier Seiten in die Tiefe stürzen, sich dort sammeln und in einer weiteren, kleineren Öffnung verschwinden. Während von Libeskinds Entwürfen ebenso wenig geblieben ist wie von der Euphorie, die die Neubaupläne für Ground Zero für kurze Zeit ausgelöst hatten, gelang es Arad trotz einer langen Serie von Eklats seinen Entwurf nahezu intakt durch das Sperrfeuer ideologischer, politischer und kommerzieller Interessen zu bugsieren, in dem alle anderen interessanten Ideen für Ground Zero kaputtgegangen sind.

Problematischer Präzedenzfall

Ganz leicht ist es nicht, sich in der wüsten Landschaft aus Baumaterial, Leitungen, Brücken und Stahlträgern und inmitten von Lärm und Geschrei vorzustellen, wie diese beiden Becken wirken werden, wenn Ground Zero endlich zur Ruhe kommt. Doch wenn irgend etwas dem Baustellenchaos und später dem Betrieb der Stadt standhalten kann, dann Arads Denkmal. Dass man sich dabei ertappt, die weite Leere, die Aufgeräumtheit dieser beiden leeren Kästen als angenehm zu empfinden; dass man erst dann das Beklemmende des in die Tiefe verschwindenden Wassers bemerkt und an die Opfer denkt, von denen viele hier ohne Spuren verschwanden wie jetzt das Wasser, spricht für den Entwurf. Genau wie Peter Eisenmann mit seinem Berliner Holocaustdenkmal vermied Arad Unverbindlichkeit ebenso wie Überrumpelung durch Zwangspathos.

Erst wenn man unmittelbar an der Mauer steht, die jedes der beiden Becken umfasst, fällt einem das Bronzeband auf, aus dem die Namen der Opfer gefräst sind. Eine für alle Beteiligten akzeptable Form für deren Auflistung zu finden, kostete Arad ein Jahr. Viele der Opferfamilien wollten nicht nur Namen sehen, sondern auch Alter, Beruf und Arbeitgeber, als sollten mit den Menschen auch deren Karrieren gewürdigt werden. Die Feuerwehr wiederum bestand darauf, dass die Namen der selbstlos in den Tod gegangenen Kollegen nicht mit denen der einfach so gestorbenen Zivilisten vermischt würden.

Zwar sind die Namen nun in neun Gruppen sortiert, die Passagiere der vier Flugzeuge, die Toten aus den Türmen und aus dem Pentagon, die Opfer des Attentats von 1993 und die "first responders" von Feuerwehr und Rettungsdiensten. Innerhalb dieser Gruppen jedoch lenkt kein Dienstgrad, kein Titel von der "irreduziblen Idee der Person" ab, die mit dem Namen am klarsten ausgedrückt sei, so Arad. Statt in alphabetischer Folge gereiht zu werden, sind sie jetzt nach einem organischen System geordnet, das auf 1200 Wünsche der Angehörigen zurückgeht. Kollegen und Freunde, Nachbarn und Familien stehen zusammen.

Arads Grundidee wurde realisiert, doch sein ursprünglicher Entwurf war weitaus ambitionierter. Er hatte vorgeschlagen, die Becken mit einer Art unterirdischem Kreuzgang zu umgeben, von dem aus man durch den Vorhang des herabfallenden Wassers in das Becken sehen sollte. Statt an der Oberfläche sollten die Namen auf den Seitenwänden stehen.

Die andere Änderung betrifft die Gestaltung des Parks: In Arads Entwurf sind die Becken von einer modernistischen Steinwüste umgeben. Der Landschaftsarchitekt Peter Walker, den ihm das Planungskomitee aufzwang, arrangierte 400 Eichen darin und löste erst damit Arads Anspruch ein, dass sich in seinem Park trauernde Angehörige ebenso willkommen fühlen sollen wie Angestellte in der Mittagspause. Beide Korrekturen haben dem Projekt nur gutgetan.

Doch obwohl die Gedenkstätte nun weniger theatralisch und weniger streng ausfiel, obwohl sie weit entfernt ist vom patriotischen Kitsch der ersten Jahre, bleibt ein Rest von Unbehagen, wenn man am Rand dieser Designer-Leere steht. Es ist nicht so sehr die Glätte von Arads Minimalismus, die ihm in New York schon den Vorwurf einträgt, sein Denkmal diene vor allem der Wertsteigerung der benachbarten Immobilien - auch wenn Arads Zierbecken eine Kulisse für ein Bademoden-Shooting abgäben. Es ist auch nicht der subtile Retro-Appeal von Arads Modernismus. Es ist auch nicht die Tatsache, dass das Nichts hier gleich zweimal gerahmt wird. Im Gegenteil: Die Doppelung hebt das trostlose metaphysische Szenario - es geht in den Schacht, nicht in den Himmel - zumindest teilweise auf.

Nein, es ist die schiere Größe, die befremdet. Einerseits lässt sich keine einleuchtendere Lösung denken, als das Denkmal in den Löchern anzusiedeln, die die zerstörten Gebäude hinterlassen haben. Doch in Zeiten, da das Gedenken an die Vergangenheit immer mehr von dem Platz verschlingt, der für die Zukunft gebraucht würde, schafft man damit einen problematischen Präzedenzfall.

Das 9/11-Memorial steht für einen grassierenden Maximalismus im Gedenkbetrieb, der für die Darstellung des Vergangenen den Maßstab von eins zu eins zum einzig zulässigen ausruft. Während das Washingtoner Vietnam-Memorial von 1962 die 59.000 Gefallenen mit einer schlichten 75 Meter langen Mauer ehrte, ist jedes der beiden Becken auf Ground Zero 60 mal 60 Meter groß. Und während die Berliner Holocaust-Gedenkstätte 15 Millionen Euro kostete, verschlang Arads Memorial erstaunliche 700 Millionen Dollar.

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