Zweite S-Bahn-Stammstrecke:Das Münchner Loch verschlingt alles

Baustellen 2. Stammstrecke

Auf dem Weg vom Großprojekt zur Großpeinlichkeit: Die Baustelle für die zweite S-Bahn-Stammstrecke in der Münchner Innenstadt.

(Foto: Florian Peljak/Bearbeitung: SZ)

Die aktuellen Nachrichten vom Bahn-Großprojekt lassen wenig Gutes ahnen: Leser vergleichen es schon mit "Stuttgart 21" - und rügen vor allem, dass mit den Milliarden Sinnvolleres für München und ganz Bayern zu finanzieren wäre.

"Kostenexplosion bei der zweiten Stammstrecke" vom 30. Juni und "Bayerns BER" vom 1. Juli:

Ab durch die Mitte, egal wie teuer

Die Skeptiker der zweiten Stammstrecke lagen richtig. Damalige Devise: Ab durch die Mitte, egal wie teuer! Der zentrale Marienplatz als Maß aller Dinge. Heilige Maria, bitte für die Planer und Politiker, möchte man seufzen und gleich Geld in den Opferstock der Steuerzahler werfen... Der Fehler rächt sich! Statt dort die Bahn zu ertüchtigen, wo die Menschen wohnen und arbeiten, wo neue Wohngebiete und Arbeitsplätze entstehen - und schon Gleise liegen, wie die Nord- und Südtangente - und diese sinnvoll samt Lärmschutz für die Anlieger auszubauen, verfolgte man seit Jahrzehnten eine überholte zentrale City-Idee.

Das große Loch gleich hinter dem Rathaus wird also weiter in einer Mitte gebohrt, die zu einem zentralen Knotenpunkt erklärt wurde, während die Randzonen der Millionenstadt mit angeblichem Herz wegen des Online-Handels ohnehin nicht mehr richtig durchblutet werden. Siehe auch den SZ-Bericht über die Auffrischung der Fußgängerzone in derselben Ausgabe ("Sehnsuchtsort im Herzen der Stadt" vom 30. Juni). Wie soll das mit diesem Dauer-Loch Marienhof als tiefe Wunde mitten in der Altstadt gelingen?

Es ist ein Fehler mit Folgen: Die Kostenexplosion macht jede Hoffnung auf die dringend notwendige Verbesserung der südlichen und nördlichen Bahn-Trassen völlig zunichte. Und am kostenintensiv verschobenen Ostbahnhof wird jenes Konzerthaus ohnehin kaum noch entstehen... So wird "Schneewittchens gläserner Sarg" ein doppelter, alles wegen absolut verfehlt geschätzten Kosten. Jeder private Häuslebauer muss so einen dicken Fehler selbst tragen, aber hier gibt es ja die vielen Steuerzahler. Von der maroden bayerischen Bahn gar nicht zu reden, über welche die SZ auch einige Seiten weiter berichtet. Die hätte Geld gebrauchen können! Muss es noch mehr Eisenbahn-Unglücke geben?

Und wie peinlich für ein Land wie Deutschland, dessen Ingenieure hier scheinbar kläglich versagen, weil sie Entscheidern in Politik und Verwaltung durch dauerndes Umplanen folgen müssen, die oft selbst nicht einmal zu wissen scheinen, was sie denn wirklich tun. Wir Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt haben den Schaden!

Frank Becker-Nickels, München

Nun hat auch München ein "Stuttgart 21"

Gut erinnere ich mich noch an meinen spontanen Ausruf, als die endgültige Entscheidung für den Bau der zweiten S-Bahn Stammstrecke in der Innenstadt direkt neben der ersten gefallen war: "Jetzt hat auch München sein Stuttgart 21!" Nun sind wir so weit. Ich bin weder Verkehrsplaner, noch Bauingenieur oder sonstiger Experte. Was hat mich nur, außer vielleicht einem Fünkchen gesundem Menschverstand, zu dieser "weitsichtigen" Aussage befähigt? BER, Stuttgart 21, zweite Stammstrecke: explosive Kostensteigerungen, immense Bauverzögerungen... - die Liste ließe sich fortsetzen. Was bringt nur unsere Entscheidungsträger dazu, immer wieder gegen großen Widerstand und gegen viele sachliche Argumente derart unsinnige Entscheidungen mit bemerkenswerter Sturheit durchzuboxen und völlig bedenkenlos gigantische Geldmengen auszugeben, die ihnen selbst nicht gehören? Kirchturmdenken? Größenwahn? Rechthaberei? Übersteigertes Machtbewusstsein? Dummheit? Ignoranz? Auch diese Liste ließe sich fortsetzen. Ratlos bleiben wir zurück.

Prof. Christian Böhm, Passau

Blamabel schon im Kleinen

Das Unternehmen S-Bahn-München renoviert seit Jahren den Bahnhof Feldkirchen. Auf der dort angebrachten Bautafel, die mittlerweile schon etwas Patina angesetzt hat, war bis vor Kurzem noch der Fertigstellungstermin 2019 (!) zu lesen.

Mittlerweile hat die S-Bahn-München das Problem mit einem Aufkleber gelöst: Nun heißt es dort "Fertigstellung 2022". So einfach geht das. Nun ist der S-Bahnhof Feldkirchen ein einfacher Standardbahnhof und in der Komplexität nicht mit der zweiten Stammstrecke zu vergleichen. Aber wenn schon in Feldkirchen die Projektplanung völlig aus dem Ruder läuft, was ist dann bei der zweiten Stammstrecke zu erwarten? Ja, genau das, was jetzt in der Zeitung steht. Also: keine Überraschung. Vielleicht sollte man mal prüfen, wie viele Aufkleber die S-Bahn-München für die kommenden 20 Jahre bestellt hat.

Dr. Christoph Spagl, Kirchheim

S-Bahn-Außenäste stärken

Schon vor 30 Jahren erkannten neutrale Fachleute erhebliche Mängel an dem Gutachten, das die Politiker für den Bau der zweiten Stammstrecke für richtig befunden hatten. Jeder erfahrene Tiefbauingenieur kannte die Schwierigkeit, eine Tunnelröhre in 40 Meter Tiefe quer zum Grundwasserfluss, der in der Münchner Schotterebene erheblich ist, preisgünstig zu bauen.

Jeder vernünftig denkenden Vertreter des ÖPNV hielt die Trasse deshalb für schlecht, weil die S-Bahn im neuen Tunnel ganze Stadtviertel ohne Halt durchfahren sollte. Trotz vieler Kritik aus allen Bevölkerungsschichten, von den Fahrgastverbänden, von den S-Bahn Nutzern, hielt man am "Gefälligkeitsgutachten" fest, das mich immer wieder an den Maskendeal heutiger Tage erinnert. Auch die inzwischen verschärften Brandvorschriften wurden nicht als störend empfunden. Und so fing man tatsächlich nach über 25 Jahren damit an, dieses vorhersehbar teure und unsinnige Projekt einer zweiten Stammstrecke zu bauen.

Die Verantwortlichen, die heute noch leben, und die Verantwortlichen, die heute in Amt und Würde für die S-Bahn München zuständig sind, müssten alle zur Rechenschaft gezogen werden. Aus solcher Murkserei, solcher Steuerverschwendung kann man sich nicht herauswinden.

Und nun muss man noch etwas Trauriges sagen: Der Tunnel hilft den S-Bahn-Fahrgästen überhaupt nicht. Denn fast alle Verspätungen werden auf den Außenästen der S-Bahn eingefahren. Will man die S-Bahn über die nächsten Jahre retten, muss man den Bau an der zweiten Stammstrecke sofort auf Eis legen. Vorrang hat der Ausbau auf den Außenästen der Bahn. Die S-Bahnen müssen endlich komplett auf eigenen Gleiskörpern verkehren, damit sie nicht ständig vom Personenfernverkehr und von Güterzügen behindert und verspätet werden. Der Fernverkehr nimmt ständig zu, ein pünktlicher 20-Minuten-Takt ist in Verkehrsspitzen seit Jahren schon nicht haltbar und wird in Zukunft nicht mehr machbar sein.

Vorrang muss auch der zweigleisige Ausbau aller eingleisigen S-Bahnlinien haben. Jetzt sind die täglichen Verspätungen kaum noch zumutbar. Wäre der Ausbau der Außenäste und der eingleisigen Strecken in zehn Jahren - das ist bei gut durchdachter Arbeitstechnik möglich - fertig gestellt, könnte die S-Bahn München dann in der Regel pünktlich im 20-Minuten-Takt unterwegs sein. Für die längst überfällige Taktverdichtung sollte man inzwischen eine kostengünstige und dazu noch sehr sinnvolle, jetzt schon bestehende Ringlinie, vom Ostbahnhof ausgehend, ausbauen. Vielleicht wäre die noch finanzierbar.

Hans-Hermann Lüdorf, Heimstetten

Geldverschwendungsorgie

Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass die Baukosten des zweiten S-Bahn-Tunnels in München statt 3,8 Milliarden, wie bisher geschätzt, voraussichtlich 7,2 Milliarden Euro betragen werden und der neue Tunnel statt im Jahr 2028 erst 2037 in Betrieb gehen wird. Die genannten Baukosten sind ein stolzer Betrag für die nur zehn Kilometer lange Strecke, von der sieben Kilometer im Tunnel verlaufen sollen: 720 Millionen Euro pro Streckenkilometer. Da ist selbst Stuttgart 21 mit rund 60 Kilometer Streckenlänge fast ein "Schnäppchen", selbst wenn dieser Unsinn am Ende zehn Milliarden Euro kosten wird, also rund 170 Millionen Euro pro Streckenkilometer, weniger als ein Viertel der Kilometerkosten des Münchner Tunnels.

Für andere Projekte zur Verbesserung des Schienennahverkehrs bleibt in ganz Bayern kein Geld mehr übrig, alles verschlingt das große Loch in München. Den vorhandenen, tunnellosen Eisenbahn-Südring in München als zweite S-Bahn-Strecke auszubauen, würde nur einen Bruchteil der Investitionen für den zweite Tunnel erfordern und zugleich bessere Verknüpfungen mit dem U-Bahn- und Tramnetz schaffen als die zweite Tunnelröhre.

Übrigens: Als der Bayerische Landtag 2010 die Realisierung des Projekts beschloss, wurden die Kosten auf 1,5 Milliarden Euro (Preisstand 2004) geschätzt. Gegenüber der aktuellen Kostenschätzung stellt diese Zahl fast eine Verfünffachung dar. Aber vielleicht bringt der Ukrainekrieg mit all seinen schrecklichen Folgen doch noch das Aus für die Münchner S-Bahn-Geldverschwendungsorgie, weil das Geld an allen Ecken und Enden fehlen wird und dringend für wichtigere und sinnvollere Maßnahmen gebraucht wird.

Karlheinz Rößler, München

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