Süddeutsche Zeitung

Master ohne Erststudium:Erst Meister, dann Master

Beruflich Qualifizierte haben an Hochschulen immer mehr Möglichkeiten. Allerdings müssen sie zuerst die Eignungsprüfung schaffen. Was Bewerber leisten müssen, um diese zu bestehen.

Von Benjamin Haerdle

Die Regel lautet: Wer in Deutschland einen Master und insbesondere den MBA machen will, muss einen Bachelor vorweisen. Doch keine Regel ohne Ausnahme - MBA-Programme, die keinen ersten Hochschulabschluss voraussetzen, gibt es zum Beispiel an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Dort hat die Gutenberg School of Business Mainz (GSB) den Young Professional MBA und den Executive MBA (EMBA) im Angebot. Für beide Studiengänge ist ein zuvor ein an einer staatlichen oder privaten Hochschule abgeschlossenes Studium eine der Voraussetzungen. Allerdings können, so erfährt man in der jeweiligen Studiengangsbeschreibung auf Gsb.uni-mainz.de, der Internet-Plattform dieser Business School, die dafür erforderlichen intellektuellen und fachlichen Fähigkeiten sowie entsprechende berufliche Leistungen durch einen Eignungstest ersetzt werden. Eine Möglichkeit, die beispielsweise für den EMBA pro Jahrgang im Durchschnitt circa zehn Prozent der Studentinnen und Studenten in Anspruch nehmen. Teilnehmer ohne Hochschulabschluss seien sehr motiviert und leistungsbereit, heißt es seitens der Hochschule.

In einer Studie aus dem Jahr 2017 nennt das CHE Centrum für Hochschulentwicklung mit Sitz in Gütersloh lediglich 24 Masterstudiengänge, für die man sich ohne Erststudium anmelden kann, zwölf davon waren MBA-Programme. Ein neuerer Überblick liegt für Deutschland nicht vor. Fest steht, dass es deutlich mehr Programme geworden sind, für die Interessenten ohne Bachelortitel eine Zulassung für ein Master- oder MBA-Studium erhalten können. So steht etwa ein Großteil der Master- und MBA-Fernstudiengänge, die zum Verbund des ZFH Zentrum für Fernstudien im Hochschulverbund gehören, beruflich Qualifizierten ohne ersten Hochschulabschluss offen, sofern sie eine Eignungsprüfung bestehen.

Viele merken, dass ihre Karriere ohne Hochschulabschluss ins Stocken gerät

In Rheinland-Pfalz binden einige Hochschulen diese Option in ihr Angebot ein - zu ihnen gehört die Hochschule Worms. Sie bietet den sehr speziellen berufsbegleitenden Business Travel Management MBA an. "Wir richten uns an Reisemanager, die in Firmen für das gesamte Reisemanagement verantwortlich sind. Das reicht vom Einkauf der Ticketkontingente bei Fluggesellschaften und Reiseunternehmen wie der Deutschen Bahn über die Kreditkartenabrechnungen eigener Mitarbeiter bis hin zum Gesundheits- und Risikomanagement der Beschäftigten im eigenen Unternehmen bei Geschäftsreisen", sagt Studiengangleiter Andreas Wilbers. Der Wunsch nach einer akademischen Ausbildung ist offenbar in dieser Berufsgruppe groß: Circa 80 Prozent der Bewerber hätten keinen Hochschulabschluss. Die Gründe: "Viele wollen nach der Schule statt eines Studiums lieber eine Ausbildung machen, andere geben der Familienplanung Vorrang", sagt der Touristikprofessor. Im Berufsleben hätten viele aber dann festgestellt, dass irgendwann eine weitere Karriere ohne Hochschulabschluss erschwert sei. Andere wollten dagegen neue wissenschaftliche Methoden kennenlernen oder sattelten als Quereinsteiger aus anderen Touristikbereichen in das Geschäftsreisenmanagement um.

An der Hochschule Koblenz schätzt Uwe Hansen, dass ungefähr 30 bis 40 Prozent der Teilnehmer des MBA-Fernstudienprogramms nicht über einen ersten Hochschulschluss verfügen. "Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht", betont der Studiengangleiter. Wer etwa einen guten Facharbeiter-, einen Meister- oder einen Fachwirtabschluss habe und mindestens drei Jahre Berufstätigkeit vorweise, könne sich zur dreiteiligen Eignungsprüfung anmelden, die genauso wie in Mainz oder Worms über eine Studienzulassung entscheidet. In einem Gespräch müssen Aspiranten ihre Motivation für den MBA möglichst genau beschreiben - und rüberbringen. Außerdem müssen sie, darin besteht der zweite Teil der Eignungsprüfung, ihre beruflichen Erfahrungen darlegen. Im dritten Teil prüft Hansen die methodische Kompetenz. "Bewerber müssen ein selbstgewähltes Projekt aus ihrer beruflichen Praxis vorstellen und erklären, warum sie wie vorgegangen sind", beschreibt er die Anforderungen. Alle drei Teile werden mit Punkten bewertet. Wer mehr als die Hälfte der Punkte erreicht hat, darf in Koblenz studieren. "90 Prozent der Bewerber kommen durch, auch wenn sich gerade beim dritten Teil viele schwertun", sagt Hansen.

Beruflich Qualifizierte tun sich oft mit dem wissenschaftlichen Arbeiten schwer

Doch so manche Hürden zeigen sich für diese Zielgruppe erst im Laufe des Studiums, etwa in der Betriebswirtschaftslehre, die wie in Worms rund die Hälfte des MBA-Studiums ausmacht: "Wir bieten für unsere Bachelor- und Masterstudiengänge Tutorien zum Beispiel im Fach Mathematik an, daran können auch unsere MBA-Studierenden teilnehmen", sagt Wilbers. Schwierigkeiten träten bei Teilnehmern ohne Hochschulabschluss auch beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten zutage. "Das wissenschaftliche Schreiben und Zitieren oder die Recherche in Datenbanken sind Techniken, die Studierende ohne vorherigen Hochschulabschluss nicht parat haben", sagt er. Zudem seien viele von ihnen nicht damit vertraut, Wissen kritisch zu hinterfragen.

Die Hochschule hat auf diese Probleme reagiert und im vorigen Jahr einen Pflichtkurs zum wissenschaftlichen Arbeiten eingeführt. Studiengangleiter Hansen von der Hochschule Koblenz berichtet von ähnlichen Beobachtungen. "Viele der Studierenden ohne Hochschulabschluss können nicht so gut abstrahieren. Weil sie stark in den beruflichen Alltag eingebunden sind, haben sie sehr schnell eine Lösung für ein Problem parat", sagt er. Wissenschaftliches Arbeiten erfordere jedoch, mehrere Möglichkeiten für eine Lösung in Betracht zu ziehen und dann zu erörtern, was für das eine und was für das andere spreche.

Aus Sicht von Frank Ziegele, Professor für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement an der Hochschule Osnabrück, ist die generelle Möglichkeit, Fach- oder Führungskräften den Erwerb eines Bachelor-, Master- oder MBA-Titels zu ermöglichen, richtig: "Es zählen die Kompetenzen, nicht die Abschlüsse", sagt er. Über Verfahren wie die Eignungsprüfung werde festgestellt, ob diese Kompetenzen wirklich vorhanden sind. "Es ist durchaus plausibel, dass beruflich hochqualifizierte Führungskräfte mit langjähriger, fachnaher Führungserfahrung über alle relevanten Bachelor-äquivalenten Kompetenzen verfügen", resümiert er. Klar ist aber auch: "Die Frage, ob die Qualität gesichert ist, steht und fällt mit den Verfahren der Kompetenzfeststellung." Der Eignungstest müsse sich wirklich eignen, die Kompetenzen zu ermitteln.

Die Gutenberg School of Business Mainz hat sich deshalb noch ein Hintertürchen einfallen lassen, um sicherzugehen, dass die Studierenden ohne Hochschulabschluss wirklich gut genug für diese Bildungseinrichtung sind. Beim EMBA und dem Young Professional MBA werden die Studierenden nach einem erfolgreichen Eignungsgespräch nur vorläufig zugelassen. Eine definitive Zusage wird dort erst erteilt, nachdem die Neuen das erste Modul absolviert und erste Leistungsnachweise erbracht haben.

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