Zufriedenheit:Die stressfreie Tabellenmitte

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Ein paar Gedanken zum Wesen des Menschen, der sich halt doch immer wieder mit dem reichen Nachbarn vergleicht.

Zu "Gott wird es schon richten" vom 2./3. Oktober:

Alltagspsychologie

Ohne den "Karl-Marx-Effekt" der Religion in Abrede zu stellen: Ich denke, dass man Gott oder religiöse Inhalte gar nicht bemühen muss, um Wohl- oder Unwohlfühlen in reichen und armen Gesellschaften zu erklären. Das ist ein psychologisches Phänomen des Alltags, unabhängig vom Glauben. Wenn man viele "erfolgreiche" Nachbarn in seiner Nähe hat, fühlt man sich eher als Versager, als wenn der Unterschied zu den Nachbarn weniger spürbar ist. Ebenso verursacht zum Beispiel ein mittlerer Tabellenplatz in der Regionalliga weniger Stress als der letzte Platz in der Bundesliga. Vielleicht zeigt uns die gemachte Beobachtung auch, wie wenig Wohlfühlen von materiellem Wohlstand abhängt. Nur sollten dann nicht zu viele Reiche oder Erfolgreiche in unserer Nähe oder in unserem Wahrnehmungsbereich leben, die könnte man als Bedrohung empfinden.

Christian Delanoff, München

Trost der Arbeiterklasse

Wenn eine aufwendige Studie belegt, dass "Religiosität den Schmerz eines geringen sozioökonomischen Status" mildert, ist dies nach der bereits vor über 150 Jahren erlangten Erkenntnis seitens Karl Marx wenig überraschend. Wenn Sebastian Herrmann Marx zitiert, sollte er ihn aber auch richtig zitieren: Marx sprach vom "Opium des Volkes" und nicht vom "Opium für das Volk". Der Glaube war also ursprünglich nicht staatsseitig propagiert oder vorgegeben, sondern "der Seufzer der bedrängten Kreatur", der Arbeiterklasse eigener Trost, die täglich erfahrenen Ungerechtigkeiten zu ertragen. Natürlich kommt dieser Glaube dabei den Staats- und Wirtschaftsinteressen entgegen, da damit die Arbeiter ihr Schicksal fatalistisch hinnehmen, statt revolutionäre Pläne zu schmieden.

Darüber hinaus legt die Studie offen, dass in Armut lebende Menschen in ärmeren, aber religiöseren Ländern zufriedener sind als Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status in reichen Industriegesellschaften. Ich frage mich aber nach wie vor: Ist es Ironie oder meint es Herrmann tatsächlich ernst, wenn er bei zunehmender Säkularisierung vorschlägt, einen Ersatz für Religion zu schaffen, um das Wohlbefinden der Menschen zu verbessern, um als Staat sozialpolitisch erfolgreich zu sein? Gerade für einen Politikwissenschaftler und Psychologen müsste doch diese Studie eine Steilvorlage sein für die Offenlegung unseres oft menschenverachtenden Wirtschaftssystems, das seine arbeitende Bevölkerung reihenweise in den Burn-out treibt.

Birgit Armbruster, Dorsten

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