Süddeutsche Zeitung

Nachverdichtung:Der Supermarkt als Vermieter

Eine Kita über dem Aldi, Apartments über dem Edeka: Handelsketten stocken ihre Gebäude auf. Das bringt Rendite und schafft Wohnungen. Doch ist das immer eine gute Idee?

Von Bärbel Brockmann

Die Corona-Pandemie hat bislang nicht dazu geführt, dass große Städte in Deutschland an Anziehungskraft verlieren und die Menschen scharenweise aufs Land ziehen. Die Grundstückspreise sind nach wie vor extrem hoch, es gibt kaum noch freie Flächen, und der Mangel an Wohnraum, besonders an bezahlbarem, hält unvermindert an. Auf der Suche nach Möglichkeiten, Wohnraum zu schaffen, rückt zunehmend die Nachverdichtung in den Blick, zum Beispiel die nachträgliche Aufstockung von Häusern, seien es Wohn- oder Bürogebäude oder auch Parkhäuser.

In einer Studie aus dem Jahr 2019 kamen Forscher der TU Darmstadt und des Pestel-Instituts zu dem Ergebnis, dass hierzulande durch Nachverdichtung bis zu 2,7 Millionen Wohnungen geschaffen werden könnten. Großes Potenzial besteht danach vor allem im Einzelhandel. Durch die Aufstockung von eingeschossigen Lebensmittelläden und Discountern könnten bis zu 400 000 Wohnungen entstehen.

Vielerorts ist es dasselbe Bild: Etwas außerhalb des Zentrums, aber immer noch mitten in der Stadt reihen sich großflächig schmucklose, einstöckige Lebensmittelläden mit immer denselben Satteldächern aneinander - Aldi, Lidl, Penny, Netto, aber auch Drogeriemärkte und andere Filialen von Einzelhandelsketten. Meist umgeben von großzügig ausgelegten Parkplätzen. Man will nahe beim Kunden sein, heißt es von Seiten der Einzelhändler unisono. Alle vier großen Lebensmittelketten, also Edeka, Rewe, Lidl und Aldi, planen deshalb weitere Standorte in den Städten und zwar dort, wo die Menschen auch wohnen. Nur ist ihre Aussicht gering, in Zukunft noch vergleichbare Baugrundstücke zu bekommen. Ganz zu schweigen davon, dass sie kaum noch zu erschwinglichen Preisen zu haben sein dürften.

"Die Flächenknappheit in Großstädten wird dazu führen, dass wir gar keine Fläche mehr finden, wo wir Freestander bauen können. Wir müssen deshalb vertikaler denken und werden bei neuen Projekten vermehrt ergänzende Nutzungen mit aufnehmen", sagt Jan Riemann, Director Property Cooperation bei Aldi Süd. Das könnten neben Wohnungen auch andere Nutzungen sein, die in der jeweiligen Lage sinnvoll seien. In der Nähe von Stuttgart hat Aldi Süd schon eine Kita auf eine Filiale gesetzt, in Tübingen befindet sich über einem Geschäft ein Studentenwohnheim. Allerdings ist es in der Regel nicht möglich, ein Gebäude aufzustocken. Meist lässt die Statik ein solches Vorhaben nicht zu. Dann bleibt nur noch als Alternative, das bestehende Gebäude abzureißen und ein ganz neues, mehrstöckiges zu bauen. Aber auch das überlegt man sich gut. Denn die Bauzeit ist deutlich länger als bei einem eingeschossigen Gebäude. Und in dieser Zeit fehlt der Umsatz, da Kunden ja nicht einkaufen können.

Die Lkw kommen meist in der Frühe, und sie machen Lärm

Eine Nachverdichtung wird auch dadurch komplizierter, dass man dort, wo Menschen wohnen, immer auch den Schallschutz berücksichtigen muss. Ein Lebensmittelgeschäft im Erdgeschoss eines Wohnhauses muss beliefert werden. Die Lkw kommen meist in der Frühe, und sie machen Lärm. Die Verwaltungsvorschrift TA Lärm gibt genau vor, in welchen Gebieten welche Grenzwerte erlaubt sind. "Jeder Bauantrag von uns enthält ein Schallschutzgutachten. Wir geben an, wie viele Lkw am Tag kommen werden, welche kältetechnischen Anlagen wir haben und wie viele Kunden zu erwarten sind, denn die Einkaufswagen erzeugen ja auch Lärm", erklärt Riemann. "Es kann auch sehr gut sein, dass wir Wohnbebauung nicht verwirklichen können, weil das ein Schallschutzgutachten nicht zulässt." Vielfach versuchen die Einzelhändler auch, den Lärm zu verringern. Etwa, indem sie Entladegaragen für Lkw bauen oder besonders geräuscharme Kühlanlagen installieren. Es gibt auch schon Einkaufswagen mit Gummirollen, die weniger Krach machen als herkömmliche.

Ob eine Nachverdichtung möglich ist, kommt auch auf den jeweiligen Bebauungsplan an. Wenn ein Gebiet als reines Wohngebiet ausgewiesen ist, muss man sich um eine Änderung bemühen. Das ist nicht immer ganz einfach. "Es ist häufig schon eine Herausforderung, sich mit dem jeweiligen Bauamt auseinanderzusetzen. Schön wäre es, man hätte generell eine gewisse Flexibilität. Aber das deutsche Baurecht ist recht strikt in den Vorgaben", sagt Martin Leinemann, Vorstand des Immobilieninvestors Arbireo Capital. Dennoch prüfe man bei den Immobilien im Bestand durchaus, wo eine Nachverdichtung durch Überbauung sinnvoll wäre.

Aber bei Arbireo kommt man zum selben Ergebnis wie bei Aldi Süd. Abriss und Neubau sind meist die einzige Möglichkeit, Wohnen und Einkaufen unter ein Dach zu bringen. Und das ist teuer. Anders sieht es dagegen aus, wenn man in einen Neubau investiert. "In diesem Fall schaut man vor allem darauf, ob die Gesamtrendite des gekauften Objektes in den jeweiligen Immobilienfonds passt. Aus Renditegesichtspunkten kann es durchaus Sinn machen, in solch eine Mischnutzung zu investieren", findet Leinemann.

"Unsere neuen Konzepte sehen vor, Kauferlebnis und Wohnen miteinander zu verbinden."

Kosten hin, Rendite her, der Trend geht in Richtung Mischnutzung. Einzelsupermärkte wird man in Zukunft immer seltener finden. Auch bei Rewe sieht man das so. "Unsere neuen Konzepte sehen vor, Kauferlebnis und Wohnen miteinander zu verbinden", erklärt Rewe-Sprecher Thomas Bonrath. Das Übereinander von Leben und Einkaufen sei für die Stadtentwicklung ein sehr positiver Faktor. Allerdings ist Rewe bei den meisten seiner Supermärkte nur Mieter. Anders dagegen Lidl und Aldi. Die beiden Discounterriesen entwickeln ihre Standorte vielfach selbst und sind Eigentümer. Wenn die ihre Märkte überbauen, kommen sie mitunter schon auf eine stattliche Anzahl von Wohnungen. Aldi Nord, zum Beispiel, plant in Berlin-Pankow einen Standort, auf dem etwa 100 Wohnungen entstehen sollen.

Zusätzliche neue Wohnungen über Supermärkten tragen natürlich zu einer Entschärfung von Wohnungsnot bei, weil sie das Wohnungsangebot in einer Stadt erhöhen. Aber sind die neuen Wohnungen auch für Durchschnittsverdiener bezahlbar oder werden sie als teure Eigentumswohnungen verkauft? Die Tatsache, dass sich im Erdgeschoss ein vielfrequentierter Supermarkt befindet, dürfte sich wohl eher dämpfend auf den Preis auswirken. "Da, wo wir Eigentümer sind, vermieten wir unsere Wohnungen", sagt Riemann von Aldi Süd. Die Miete hänge dabei jeweils von der regionalen Lage ab. Ein Apartment in der Eifel kostet dann weniger als eines in Köln. Teilweise handelt es sich auch um Sozialwohnungen und um geförderten Wohnungsbau. Auch bei der Schwesterfirma Aldi Nord liegen die Wohnungen, die man in Berlin baut, nicht im Luxussegment. Dort betont man, dass man den aktuellen Wohnungsmangel mit bezahlbarem Wohnraum lindern hilft.

Gerade in Großstädten könnte der Trend zur Mischnutzung zu spürbar mehr Wohnungen führen. Denn die Einzelhandelsketten wollen ihre Präsenz in den Zentren erhöhen und suchen daher nach Flächen - meistens größere, damit sie einen Teil davon an Drogeriemärkte, Cafés oder Serviceanbieter wie Schuster vermieten können. Und auf einer größeren Fläche lassen sich auch mehr Wohnungen bauen.

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