Stiftungen:"Wohnen in gemischten Quartieren"

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Kristina Osmers und Werner Dicke wollen mehr Wohnraum für Alleinerziehende und Alleinstehende schaffen - und haben dazu eine Stiftung gegründet. Damit allerdings fing die Arbeit erst an.

Interview von Johanna Pfund

Gerade einmal drei Jahre alt ist die Dicke-Osmers-Stiftung "Villa ganZ". Das große Ziel der Stiftung: bezahlbaren Wohnraum schaffen für Alleinerziehende und Alleinstehende. Denn hier bestehe aktuell eine große Angebotslücke, findet das Gründerehepaar Kristina Osmers und Werner Dicke aus Hildesheim in Niedersachsen.

SZ: Wie kamen Sie auf die Idee, eine Stiftung zu gründen?

Werner Dicke: Wir hatten vor sieben Jahren unsere Pension im Blick und fragten uns, was wir der Gesellschaft nach einem erfolgreichen Erwerbsleben zurückgeben könnten. Bei der Recherche stellten wir fest, dass das, was wir für förderungswürdig erachteten, gesellschaftlich ignoriert wurde: nämlich Wohnraum für Alleinlebende und Alleinerziehende. Das Förderziel ist nicht einmal neu, existiert doch in Hildesheim eine Stiftung, die schon 1161 von Rainald von Dassel, dem Kanzler Barbarossas, begründet wurde, mit ähnlicher Zwecksetzung: Sie unterstützt Bedürftige, unter anderen im Stich gelassene Frauen, Mütter und Kinder. Es ist erstaunlich, dass es im modernen Sozialstaat diesen Unterstützungsbedarf noch immer gibt. Wir packen es heute nur anders an, denn wir sehen den Schlüssel zu Bildung, Gesundheit und Fortkommen im integrierten Wohnen gemischter Quartiere.

Stiftungsgründerin Kristina Osmers. (Foto: Dicke-Osmers-Stiftung "Villa ganZ")

Und wie wollen Sie das mit Ihrer Stiftung bewerkstelligen?

Kristina Osmers: Die Idee war, Menschen trotz geringen Einkommens eine werthaltige Wohnung in gutem Umfeld zu garantieren und ihnen damit eine umfängliche Chance zu gesellschaftlicher Teilhabe zu bieten. Wenn Menschen in segregierten Milieus leben, entstehen auf Dauer Ghettos. Das wollen wir vermeiden, denn in Ghettos verstärken sich Sozialkonflikte eher, als dass sie gelöst werden. Wir bleiben deshalb dabei: Die Menschen haben in der Regel keine sozialen Probleme, sondern finanzielle.

Dicke: Deshalb geht die Stiftung auf Normalverdiener-Baugruppen zu und übernimmt den Bau von Sozialwohnungen. Somit wird der integrierende Aspekt verschiedenster Sozialmilieus bereits in der Bauplanung vollumfänglich bedacht.

Das klingt alles schön, aber wie schafft es Ihre Stiftung, mit 250 000 Euro Kapital Wohnungen zu bauen?

Osmers: Die staatlichen Fördermittel für Sozialwohnungen vervielfachen unser Stiftungskapital. Inzwischen liegt unsere Bilanzsumme auch ohne Fördermittel bei etwa 590 000 Euro. Derzeit haben wir zwei Projekte in Planung, die jeweils zwei Millionen Euro kosten werden.

Dicke: Öffentliche Zuschüsse und Kredite ermöglichen mittels ihrer Hebelwirkung so das Aufbringen enormer Kapitalsummen. Kredite sind selbstredend zurückzuzahlen, das geschieht aus regelmäßigen Mieteinnahmen der Stiftungswohnungen sowie Spendenbeiträgen und Zustiftungen. Das Wichtige und zur Klarstellung: Wir sind eine operative Stiftung, also Eigentümer sowie ehrenamtliche Bewirtschafter der Stiftungswohnungen, und freie finanzielle Mittel werden satzungsgemäß direkt in Wohnraum investiert.

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Von Johanna Pfund

Ähnlich arbeiten ja die Unternehmen, die Sozialwohnungen bauen.

Osmers: Der Unterschied besteht darin, dass unsere Wohnungen auf ewig mietpreisgebunden bei der Stiftung verbleiben. Sie gelangen nie auf den Immobilienmarkt, so wie das sonst bei Sozialwohnungen der Fall ist, die nach 15, 20 oder 30 Jahren mit Ablauf der Bindungsfristen meistbietend veräußert werden können. Deshalb finden wir es auch wettbewerbsverzerrend, dass gewinnorientiertes Bauen und unsere anerkannt gemeinnützigen Projekte die gleiche öffentliche Förderung erhalten. Diesbezüglich haben wir Gespräche mit dem niedersächsischen Bauministerium geführt und stehen im Austausch mit dem Bundesbauministerium. Wir denken, dass unser bürgerschaftliches Modell nachahmenswert ist. Und da bleiben wir dran, wir haben einen langen Atem.

Stiftungsgründer Werner Dicke. (Foto: Dicke-Osmers-Stiftung "Villa ganZ")

Haben Sie schon eine Wohnung vermietet?

Dicke: Beide Projekte stehen kurz vor der Bauantragstellung. Bei sieben Wohnungen, integriert im Ecovillage Hannover, muss allerdings die Finanzierungslücke noch gedeckt werden, die das KfW-Desaster vom Januar des Jahres gerissen hat.

Wie ist denn die Resonanz auf Ihre Projekte?

Osmers: Positiv - und was wir kennenlernen durften, ist die große Bescheidenheit von potenziellen Mieterinnen und Mietern, die ihre Ideen und nützlichen Hinweise in die Planung der Wohnungsgrundrisse einbrachten. Beispielsweise gibt es jetzt einen multifunktionalen Raum mit Waschmaschinen, kleiner Terrasse und Garten, wo Treffen stattfinden, die Wäsche gemacht und die Hausaufgaben der Kinder beaufsichtigt werden können.

Und die Reaktion der Kommunen und zuständigen Ämter?

Dicke: Vor drei Jahren hieß es: Das haben wir noch nie gehabt! Sowohl bei der Stiftungsaufsicht, den Finanzbehörden, der Stadtverwaltung als auch beim Bundesverband für Stiftungen. Es scheint ein ungewöhnliches Projekt zu sein, aber es sind ja auch ungewöhnliche Zeiten. Wir können über Dunkelheit im Keller lange klagen, wir können aber auch eine Kerze anzünden.

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