Wikinger:Übung macht den Meister

Das Auge könne polarisiertes Licht von normalem Licht unterscheiden, meint ein Leser. Die Wikinger nutzten das.

Colonisation de l Islande 874 930 Vikings norvegiens debarquant en Islande parmi eux Ingolfur A

Das Meer rau, die Sicht schlecht: Wie hielten die Nordmänner ihren Kurs?

(Foto: imago/Leemage)

Informativ und unterhaltsam geht Hubert Filser in "Zur Sonne" vom 30. April/1. Mai der Frage nach, ob Wikinger von Norwegen nach Neufundland navigiert sein könnten, indem sie sich die Polarisationseigenschaften doppelbrechender Kristalle zunutze machten. Die Frage ist alt, neu sind die Forschungsergebnisse des ungarischen Physikers Gábor Horváth, der nachgewiesen hat, dass es möglich ist, mit dichroitischen Kristallen bei bedecktem Himmel den Sonnenstand und damit die Himmelsrichtung zu bestimmen.

Das Vergnügen an der gut erzählten Geschichte von Horváths Untersuchungen im Kontext älterer Forschung wird leider durch Filsers Behauptung geschmälert, das menschliche Auge könne polarisiertes Licht nicht von normalem Licht unterscheiden. Ein verbreitetes Vorurteil, das Tradition hat, obwohl seit über 150 Jahren bekannt ist, dass das menschliche Auge sehr wohl polarisationssensitiv ist. Linear polarisiertes Licht ruft im Auge ein komplementärfarbiges, kreuzsymmetrisches Kontrastphänomen hervor und gestattet dem, der etwas Übung darin hat, die Bestimmung der Polarisationsrichtung.

Das Phänomen wurde 1845 von dem Mineralogen Karl Wilhelm Haidinger entdeckt und später nach ihm als "Haidinger-Büschel" benannt. Helmholtz lieferte 1896 in seinem "Handbuch der physiologischen Optik" die erste Erklärung, die im Wesentlichen bis heute gültig ist: Die menschliche Netzhaut hat im Bereich des schärfsten Sehens (Fovea centralis) dichroitische Eigenschaften. Sie absorbiert selektiv und wirkt dadurch auf linear polarisiertes Licht wie ein radialsymmetrischer Analysator. Dem einfallenden Licht wird außerdem durch die doppelbrechende Hornhaut des Auges eine Phasenverschiebung aufgeprägt, die in Wechselwirkung mit dem Analysator zur Entstehung komplementärer Interferenzfarben führt: gelb und blau-violett.

Inzwischen gibt es Hinweise, dass die Polarisationssensitivität des menschlichen Auges nicht auf das Haidinger-Büschel beschränkt ist. Die Frage, ob es theoretisch möglich wäre, anhand des Haidinger-Büschels zu navigieren, ist hier naheliegend, wurde meines Wissens noch nicht untersucht. Ich würde es nicht ausschließen, allerdings ist bei bedecktem Himmel der Kontrast des Büschels schwach.

Prof. Johannes Grebe-Ellis Bergische Universität Wuppertal

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

forum@sueddeutsche.de

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: