Süddeutsche Zeitung

Rahmer Mühle:In der Zwickmühle

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Der hohe Weizenpreis trifft viele Unternehmen hart. Welche Ideen ein Heilbronner Familienbetrieb entwickelt, um durch die Krise zu kommen.

Von Marcel Grzanna

Dieter Rahmer mag sich nicht beklagen. "Wir bekommen ja unseren Weizen", sagt er. Von den Konsequenzen des Krieges in der Ukraine seien andere schließlich schlimmer betroffen. Jene Betriebe beispielsweise, die Lieferungen direkt aus dem Land bezögen. Der 72-Jährige hat sechs Jahrzehnte Erfahrung in dem Gewerbe. Vor einigen Jahrzehnten war er der jüngste Müllermeister in Deutschland. Die Rahmer Mühle hat schon manche Krise überstanden. Sie wird auch diese Krise überstehen.

"So einen extremen Preisanstieg habe ich noch nie erlebt."

Doch in Stein gemeißelt ist diese Prognose nicht. Rahmers Sohn Timo ist Geschäftsführer des Traditionsbetriebs im Heilbronner Stadtteil Sontheim. Er führt die Mühle in zehnter Familiengeneration. "Wenn das so weitergeht, dann haben wir definitiv ein großes Problem. So einen extremen Preisanstieg habe ich noch nie erlebt. Die Nachfrage nach Getreide bleibt konstant, aber das Angebot wird immer geringer", sagt der 38-Jährige.

Der Krieg hat die Versorgung des Weltmarktes mit Getreide aller Art ins Stottern gebracht. Der Preis für Weizen kletterte seit dem russischen Angriff enorm in die Höhe. Kurz vor Ausbruch der Kämpfe lag er bei rund 270 Euro pro Tonne, inzwischen bewegt er sich zwischen 360 und 420 Euro. Zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hatten die Preise binnen kurzer Zeit ebenfalls stark angezogen, blieben aber weit unter 300 Euro. Damals lag es an der gesteigerten Nachfrage aus Angst vor einem monatelangen Lockdown. Die Rohstoffe aber standen weiterhin zur Verfügung. Das ist heute der entscheidende Unterschied.

Wie es weitergeht, steht in den Sternen. Auch weil selbst ein Ende des Krieges die Produktion nicht unmittelbar anschieben kann. Die gesamte Wertschöpfungskette leidet unter den Kampfhandlungen, angefangen beim Bewirtschaften der riesigen Ackerflächen in der Ukraine.

Öl ist knapp, was die Nutzung von Traktoren und Lastkraftwagen für die Landwirte mindestens deutlich teurer, für viele Bauern der Region sogar unmöglich macht, weil sie nicht genügend Sprit beziehen können. Zumal der Bedarf an Sprit viel größer ist als hierzulande. Die Äcker in der Ukraine sind derart groß, dass Traktoren nicht selten eine Stunde und länger von einem Ende zum anderen benötigen.

Hinzu kommen Probleme bei der Logistik. Speditionen in ganz Europa verzeichnen einen Mangel an Fahrern, von denen viele aus der Ukraine stammen. Bis zu 100 000 könnten es laut Schätzungen sein. Nicht wenige von ihnen kämpfen nun an der Front. Und selbst wenn ihnen Tod und Verwundung erspart bleiben, dürften viele nach Kriegsende erst einmal bis auf Weiteres in ihrer Heimat bleiben, um beim Wiederaufbau des Landes mitzuhelfen. Die Fahrerhäuser der Lastwagen werden wohl andere besetzen müssen.

"Das wird alles früher oder später zwangsläufig beim Verbraucher ankommen", sagt Timo Rahmer, dessen größtes Problem allerdings nicht der Weizen ist, sondern die Beschaffung von Sonnenblumenkernen. Die Rahmer Mühle hat sich seit Jahren auch auf Produktion und Vertrieb von Vogelfutter spezialisiert. Sonnenblumenkerne sind einer der Hauptbestandteile.

Dieter Rahmer hatte schon vor Jahren auf Vogelfutter umgesattelt

Die Umstellung des Geschäftsmodells half dem Familienbetrieb dabei, den Wegfall des Mahlens im vergangenen Jahr relativ gut wegzustecken. Auflagen der Stadt hätten den Weiterbetrieb der Mühle erheblich verteuert und erschwert, weswegen sich die Rahmers dazu entschieden, nur noch als Händler von Mehl, nicht mehr als dessen Erzeuger aufzutreten. Nach 247 Jahren stellte die Rahmer Mühle im Herbst 2021 ihren Betrieb ein.

Der ehemalige Geschäftsführer Dieter Rahmer hatte schon vor Jahren auf Vogelfutter umgesattelt. Im ungarischen Győr stellen 100 Mitarbeiter jedes Jahr unter anderem 50 Millionen Meisenknödel her, die in halb Europa verkauft werden. Bis zu 13 Millionen Euro Umsatz macht das Unternehmen in guten Jahren. Der Umsatz mit Vogelfutter ist in vier, fünf Monaten im Jahr doppelt so hoch, wie es die ganzjährige Produktion von Mehl jemals leisten konnte.

Doch jetzt sind die Sonnenblumenkerne, die die Rahmer Mühle dringend für ihr Vogelfutter benötigt, ein knappes Gut. Das Unternehmen konkurriert im Einkauf mit den Herstellern von Sonnenblumenöl, die rund 90 Prozent des Marktes ausmachen. "Die zahlen unheimliche Preise für Sonnenblumen, und da müssen wir mithalten, damit wir Ware bekommen", sagt Dieter Rahmer. Speiseöl sei aber immer noch wichtiger als Vogelfutter. "Das ist meine größte Angst, dass wir dort bald mit leeren Händen dastehen", sagt er.

Ein Entgegenkommen ihrer Kunden erwartet Timo Rahmer nicht. Große Supermarktketten würden Preissteigerungen nur mit dreimonatiger Vorankündigung akzeptieren. Weil der Kriegsausbruch nicht vorherzusehen war und die Rohstoffpreise in kurzer Zeit explodierten, droht die Rahmer Mühle zumindest auf Teilen der Kosten sitzenzubleiben. Timo Rahmer hofft auf ein wenig Verständnis der Großkunden, die mit Margen bis zu 300 Prozent kalkulieren, "während wir mit vier Stellen hinter dem Komma rechnen".

Jetzt schon erwarten die Abnehmer des Vogelfutters Preisvorschläge der Produzenten für die nächste Wintersaison. Ein Dilemma für Rahmer. "Wir haben überhaupt keine Ahnung, wie sich die Preise in den kommenden Monaten entwickeln. Wenn sie weiter steigen, müssen wir die Lücke selbst stopfen." Schlimmstenfalls bleiben sogar die Lieferungen der Rohstoffe aus. "Ich kann heute noch nicht einmal mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob ich die Ware dann überhaupt liefern kann."

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