Süddeutsche Zeitung

Weitere Leserbriefe:Umwelt, Mollath, AfD

Warum Verzicht für Klima und Gesundheit gut ist, was der Parteiaustritt von Uwe Junge für die AfD bedeuten kann und was die Aufmerksamkeit und Aufarbeitung des Mollath-Falles für die Beurteilung künftiger Psychiatrie-Fälle bringt.

Verzichten für die Umwelt

Zu "Vertrackter Verzicht" vom 1. September: Die Logik des globalen Kapitalismus verlangt, alle Menschen mit dem Versprechen zu locken, wie Fürsten leben zu können, damit letztlich genau diejenigen, die dies versprechen, wie Fürsten leben können. Wie viel Prozent CO₂-Einsparung erreicht werden können, ist abgesehen von der Fragwürdigkeit entsprechender Berechnungen im Grunde nebensächlich, denn jede Einsparung ist schließlich besser als keine. Der Verweis auf Berechnungen funktioniert aber argumentativ im Sinne der Prokrastination und damit des "Weiter so" und bemäntelt dies scheinbar wissenschaftlich.

Michael Schorcht, Leipzig

Nicht genügend im Blick ist bisher, dass bei unserem bisherigen Lebensstil der Verzicht einen großen Benefit hat: Die Gesundheit eines jeden Menschen wird davon profitieren. Für jeden Einzelnen sinkt das Risiko, von einer sogenannten nicht übertragbaren Erkrankung wie Diabetes, Übergewicht, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, Herzinfarkt oder Krebserkrankung betroffen zu sein. Diese Erkrankungen, die in der EU immerhin über 70 Prozent der Krankheitslast ausmachen, können mit einem veränderten Lebensstil mit Sicherheit reduziert werden.

Dr. med. Christoph Dembowski, Rotenburg

Zur Entwicklung der AfD

Zu "Werte, welche Werte" vom 30. August: Die Einschätzung des Verfassungsschutzes, dass in der AfD die demokratiefeindlichen Kräfte erstarken, steht bei uns in Rheinland-Pfalz sehr gut mit dem soeben erfolgten Parteiaustritt des ehemaligen Landesvorsitzenden und ehemaligen Vorsitzenden der AfD-Landtagsfraktion, Uwe Junge, in Einklang.

Ihm muss man zugestehen, dass er auf Veranstaltungen seiner nunmehr bisherigen Partei Anwesenden, die den Bogen überspannten und wilde Verschwörungserzählungen kundtaten, widersprach und sie auf den Boden der Realität zurückzuholen versuchte. Dadurch legte er es nahe, die AfD differenziert zu sehen und zwischen Konservativen, die früher mal etwa in der CDU Einfluss hatten, und Rechtsextremisten à la Höcke einen Unterschied zu sehen.

Wenn er aber jetzt zur Einschätzung kommt, eine negative Veränderung der Mitgliederstruktur mache eine Umkehr der Entwicklung nicht mehr möglich, müssen sich die noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehenden Konservativen in der AfD ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob sie überhaupt noch eine Chance haben, und gegebenenfalls dem Vorbild Junges folgen.Siegfried Kowallek, Neuwied

Lernen aus dem Fall Mollath

Zu "Was Wahn war" vom 7./8. August: Herr Prantl hat recht, wenn er den Fall Mollath als Schande für die damit befassten Psychiater darstellt. Es ist wertvoll, dass dadurch die Öffentlichkeit sensibilisiert wurde für das Problem der freiheitsentziehenden Unterbringung und der Zwangsbehandlung, wobei der Hinweis erlaubt sei, dass sich im speziellen Fall Mollath auch die beteiligten Juristen kein gutes Bild abgeben.

Letztlich entscheidet immer der Richter, ob eine Zwangseinweisung und -behandlung genehmigt wird. Der Richter stützt sich naturgemäß auf das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen, hat aber auch die Pflicht, sich ein eigenes Urteil von der betroffenen Person zu bilden, er muss nicht blind die Meinung des Gutachters übernehmen. Herr Mollath hat, nach allem, was wir wissen, keine Psychose, sondern er ist ein Sonderling, eine akzentuierte Persönlichkeit.

Insgesamt sollte man bei aller Tragik des Falles das Kind nicht mit dem Bad ausschütten: Es ist kein Freiheitsrecht, sich in einem psychotischen Wahn zugrunde zu richten, bei einer akuten Psychose ist die freie Willensbildung nicht mehr gegeben, der Betroffene kann nicht frei entscheiden, er ist (meist schwer) krank. Zu bedenken gebe ich auch, welches Leid eine unbehandelte Psychose für die Angehörigen, besonders für die betroffenen Kinder bedeuten kann. Im Rahmen wahnhafter Störungen wird nicht selten das Vermögen ganzer Familien zerstört. Durch eine (Zwangs-)Behandlung gelingt es oft, den Verlauf einer Psychose so zu beeinflussen, dass der Betroffene ein weitgehend normales Leben führen kann. Meist ist es auch so, dass, wenn durch die Therapie der akute psychische Zustand behoben ist, die Betroffen auch zu eine freiwilligen Behandlung bereit sind.

Eine Psychose nicht zu behandeln, erfüllt meines Erachtens den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Es ist wichtig, mit der Behandlung nicht zu lange zu warten, eine über längere Zeit unbehandelte Psychose ist erfahrungsgemäß schwieriger zu therapieren. Zu fordern ist: Sorgfalt in der Begutachtung, aber entschiedenes Handeln bei schweren krankhaften Störungen!

Dr. med. Martin Klupp, Amberg

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5411560
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.09.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.