Süddeutsche Zeitung

Weitere Briefe:Details, auf die es ankommt

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Im Prozess gegen den Attentäter von Halle sprechen viele Zeugen. Dabei ist jeder Aspekt wichtig, erklärt eine Überlebende.

Zu "Jetzt hör mal zu" vom 3. September:

Als Überlebende des Attentats auf die Synagoge in Halle und Nebenklägerin im Prozess gegen den Täter, ist es mir besonders wichtig, den Stimmen der Nebenklage Gehör zu verschaffen. Dass mir eine inhaltlich richtige Wiedergabe meiner Zeugenaussage demnach ein Anliegen ist, empfinde ich als legitim. Daher halte ich mich mit meiner Bitte zur Richtigstellung der beiden Absätze aus Ihrem Artikel auch nicht für "sensibel". Dass "eine Richtigstellung solcher Details" für Ihre Leser und Leserinnen "schwer zu verstehen" sei, glaube ich nicht, und erlaube mir nun nachstehend folgende Korrekturen zu Ihrem Artikel: Am Tag des Attentats saß ich in der Synagoge eben nicht nahe an der Türe und hatte auch keinen Blick auf den Eingangsbereich. Genau deshalb habe ich erst vergleichsweise spät verstanden, dass es sich tatsächlich um einen Anschlag auf uns Betende in der Synagoge handelte.

Es war der Kantor und kein Rabbiner, der mit seinen klaren Ansagen, dass wir uns von den Fenstern fernhalten und ducken sollen, unglaubliche Stärke bewies. Der Freund, den ich aufspringen und die Hintertüre verbarrikadieren sah, dessen Namen ich in meiner Aussage ganz bewusst nicht genannt habe, war nicht Herr Rabbiner Borovitz. Wir haben auch nicht gemeinsam eine Türe mit einem Schrank verbarrikadiert. Das hat besagter Freund alleine gemacht, woraufhin ich mit Tischen die daneben liegende Flügeltüre verbarrikadierte. Meine Großmutter, deren Schal ich nicht im Gebetsraum zurücklassen wollte, verstarb, als ich sieben Jahre alt war. Das verleiht dem Schal, der mir erst vor wenigen Jahren von einem Familienmitglied weitergereicht wurde, noch größeren emotionalen Wert. An Jom Kippur trage ich nicht nur "vieles" nicht bei mir, sondern überhaupt nichts. Es ist nämlich der höchste jüdische Feiertag.

Christina Feist, Paris Nebenklägerin im Prozess von Halle

Ihr Text zum Anschlag von Halle ist ein gelungenes Stück Journalismus und wohltuend sachlich, wo anderen unter Umständen der Wutschaum, nicht ganz grundlos, vor dem Mund gestanden hätte. Er wirft aber bei aller Sachlichkeit mit großer Klarheit ein warmes Licht auf die jüdischen Menschen, für die Deutschland in diesen Jahren kein sicheres Land ist, die aber trotzdem mit großem Mut in und mit diesem Land leben. Texte wie dieser in der SZ tragen zum Frieden und zur Verständigung bei, notwendig in einem Land, in dem bestimmte selbstverständliche Konsense der deutschen Nachkriegszeit nicht mehr selbstverständlich sind. Der SZ ein großes Kompliment, dass sie solchen Großberichten immer noch Platz gibt.

Heribert Schäfers, Krefeld

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Quelle:
SZ vom 05.09.2020
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