Gastbeitrag „Verteidigt die Freiheit“ vom 5. Juni:
Vernebelte Debatte
Da bekommt also der Herr Wolfram Weimer, der sich jetzt Kulturstaatsminister nennen darf, eine Bühne in der SZ. Und dies mit einem Artikel, den man sonst allenfalls in der FAZ oder im Cicero erwartet hätte. Weimer entpuppt sich hier einmal mehr als das, was er im Kern ist: ein ziemlich weit rechts stehender Kulturkrieger.
Er geriert sich als heroischer Verteidiger der Freiheit. Mit Schaum vor dem Mund sieht er den Hauptfeind der Kunst- und Meinungsfreiheit in den „Linken“ und ihrer „Cancel Culture“. Natürlich greift er gleich auch Rechte, Rechtsradikale und Rechtsextremisten an (bei der Linken unternimmt er diese Differenzierung nicht). Links gleich rechts, diese Formel hat schon immer funktioniert, um Debatten zu vernebeln, statt Klartext zu reden und zu differenzieren.
Und wo sieht er die Lösung von allen Problemen dieser Welt? Es ist die „Mitte“ der Gesellschaft, der er sich natürlich selber zurechnet. Sie ist für ihn die große fleischgewordene Unschuld. Kein Wort vom Versagen auch der „bürgerlichen Mitte“, ihren ideologischen Verblendungen und Unterlassungen. Was wohl von einem so gepolten Staatsminister für Kultur noch alles zu erwarten ist, darf man sich gar nicht ausmalen.
Früher waren bereits hanebüchene Thesen von Weimer zu vernehmen. In Anlehnung an den berüchtigten Oswald Spengler schwadroniert er vom kulturellen Niedergang Europas. Grotesk seine Positionen zur Klimakrise, die er leugnet. Auch bei der von ihm sogenannten „Gender-Ideologie“ sieht er rot. Und was er wohl demnächst bei einer Rede sagen würde, wenn wieder einmal koloniales Raubgut an Herkunftsländer restituiert werden soll? Weimer moniert allen Ernstes, dass „die eigene Kolonialgeschichte mit moralischen Gewissensbissen als illegitime Expansion“ betrachtet wird.
Übrigens: Der Abbau der Venus-Medici in einem Berliner Ministerium ist tatsächlich ein Blödsinn sondergleichen. Man hätte doch einfach einen Abguss des Davids von Michelangelo danebenstellen können. Und Männlein und Weiblein könnten sich der splitternackten Statuen erfreuen. Humor? Es ist hüben wie drüben Mangelware.
Dr. Joachim Zeller, Berlin
Kultur des Mutes
Ich möchte mich bei Ihnen ausdrücklich dafür bedanken, dass Sie den Mut zeigen, auf eine äußerst bedenkliche kulturelle Entwicklung hinzuweisen, die sich in unserem Land in den vergangenen Jahren breitgemacht hat. Ja, es bedarf mittlerweile Mut, gegen die zum Teil schwachsinnige Cancel Culture zu argumentieren.
Ein beschämendes Beispiel war im Jahr 2018 zu beobachten: Damals wurde auf Druck einiger ideologisch motivierter Stimmen und möglicherweise verwirrter Personen das Gedicht „Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“ von Eugen Gomringer von der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin entfernt. Ein poetisches Werk, das seit Jahrzehnten Teil der internationalen Literaturgeschichte ist, wurde aus Angst vor Missverständnissen oder Provokationen geopfert.
Wenn sich die Politik und öffentliche Institutionen von solch intoleranten und kulturfeindlichen Kräften treiben lassen, dann steht es schlecht um das geistige Rückgrat unserer Gesellschaft. Nochmals danke ich Ihnen für Ihre klaren Worte und hoffe, dass mit Ihnen eine neue Kultur des Mutes, der Offenheit und der Wertschätzung für Kunst und Literatur beginnt.
Werner Sünkenberg, Bremen
Reißerische Bildsprache
Der äußerst moralisierende und polemische Gastbeitrag von Wolfram Weimer mit dem Titel „Verteidigt die Freiheit“ ist so ideologisch eingefärbt, dass ich mich offen gesagt nicht nur wundere, sondern ziemlich irritiert darüber bin, dass Sie ihn abgedruckt haben.
Weimer gibt seinen Beitrag als Plädoyer für Freiheit und Pluralität aus, aber wer ihn halbwegs aufmerksam gelesen hat, wird gemerkt haben, dass daran etwas nicht stimmen kann. Es ist gar nicht so einfach, dieses Gefühl auf den Punkt zu bringen, weil die mit Metaphern, Polemik und als differenziert getarnten Verallgemeinerungen überfrachtete Sprache erst mal überwältigt. Wenn man genauer hinsieht und das Ganze etwas auseinandernimmt, wird allerdings schnell deutlich, dass der Beitrag keineswegs als Aufruf zur Verteidigung der Freiheit zu lesen ist, sondern vor allem polarisieren will.
Der Text ist rhetorisch extrem aufgeladen und es werden zahlreiche Begriffe verwendet, die insbesondere linke Positionen negativ darstellen. So ist die Rede von der „Kanonisierung der Künste im Namen eines neuen Tugendterrors“, „linkem Alarmismus“, „Cancel Culture“ und „Furien des Verschwindens“. Bilder, die Assoziationen von Kampf, Bedrohung und Zensur wecken, werden inflationär gebraucht: Weimer spricht von „Korridoren des Sagbaren“, die verengt werden, von Stigmatisierung (ausgerechnet im Zusammenhang mit Dieter Nuhr und J. K. Rowling, ich muss wohl kaum weiter ausführen, warum ich diese Beispiele für denkbar unpassend halte) und vom „Wegschließen des Tafelsilbers abendländischer Aufklärung“. Was für eine reißerische Bildsprache.
Weimer generalisiert, ohne seine Aussagen zu belegen, spricht von der „freiheitsfeindlichen Übergriffigkeit der Linken“, behauptet, Differenzierung sei keine Option mehr (unmöglich kann Weimer meinen, sich mit seinem Beitrag differenziert positioniert zu haben) und der Shitstorm gehöre inzwischen „zum festen Inventar radikal-feministischer, postkolonialer, öko-sozialistischer Empörungskultur“. Apropos, welch grotesker Rundumschlag. Inwiefern hängen Feminismus, Postkolonialismus, Ökologie und Sozialismus derart zusammen, dass sich daraus eine gemeinsame Empörungskultur ableiten ließe? Wie ist diese pauschal hergestellte Verbindung zwischen völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen Bewegungen zu rechtfertigen?
Ich finde auch, dass Kunst und Kultur nicht politisch instrumentalisiert werden sollten. Solche Fälle gibt es, sie sind aber nicht die Regel. Genau das, was Weimer in seinem Text beklagt, tut er selbst: Er stilisiert bestimmte gesellschaftliche Strömungen zum Feindbild und verallgemeinert Einzelfälle, etwa die angebliche Bevormundung durch Universitäten oder Behörden – und das unter dem Vorwand, liberale Werte zu verteidigen. Dass Weimer das Beispiel einer einzelnen Venus-Statue zum Beweis einer intoleranten linken Gesinnung heranzieht, offenbart wohl mehr über seine eigene Agenda als über den Zustand der Kunstfreiheit.
Es hat mich irritiert, einen so tendenziösen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, weil ich sie als differenziertes Medium schätze. Vermutlich liegt der Abdruck darin begründet, dass die Redaktion bemüht ist, das gesamte politische Spektrum abzubilden und nicht einseitig zu erscheinen. Guter Gedanke – aber wenn dadurch, wie hier, Positionen Raum erhalten, die mehr zuspitzen als aufklären, finde ich das problematisch.
Christina Theodoridis, Berlin
Viel Glück im Kulturkampf
Den Kulturkampf ausgerechnet aus der Kunst heraushalten zu wollen, dürfte also schwierig werden. Man kann gespannt sein, ob der Kulturstaatsminister das schaffen wird. Wäre er geschickter mit den Problemen der letzten Dokumenta umgegangen? Wie viel Toleranz wird er gegenüber der Intoleranz beweisen, die manche kämpferische Künstler ja selbst an den Tag legen? Wenn mich nicht alles täuscht, beginnen sich Teile der Kulturszene bereits auf Herrn Weimer einzuschießen. Ich wünsche ihm viel Glück und starke Nerven.
Axel Lehmann, München
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