Wehrpflicht:Wer soll dienen?

Lesezeit: 4 Min.

Ein Bild fast vergangener Zeiten: Rekruten der Bundeswehr nehmen im Juli 2009 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin am öffentlichen Gelöbnis teil. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Der Verteidigungsminister will die Bereitschaft zum Wehrdienst per Fragebogen erfassen. Der Dienst bleibt aber weiterhin freiwillig. Eine gute Idee? Und wie weit darf der Staat gehen? SZ-Leser diskutieren.

„Antreten! Also, wenn ihr Lust habt“ vom 13. Juni:

Keine Wehrgerechtigkeit

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius erschafft wie einst Viktor Frankenstein ein neues Bürokratiemonster, indem er jedes Jahr alle 18-jährigen Männer in Deutschland systematisch erfassen und anschreiben lassen will, damit diese verpflichtend einen Fragebogen zum Wehrdienst in der Bundeswehr ausfüllen sollen. Der Nachwuchs in Deutschland sei gefordert, um die Bundeswehr wieder wehrfähig und kriegstauglich zu machen. Deshalb will Pistorius die Beamten anweisen, aus den zurückkommenden Fragebögen die besten und motiviertesten Männer für die Bundeswehr auszuwählen, um sie anschließend zur Musterung einzuladen. Dabei setzt Pistorius allerdings ausschließlich auf Freiwilligkeit ohne den Zwang zu Rekrutierung.

Das haben wir bereits jetzt. Jeder Mann in Deutschland kann sich freiwillig bei der Bundeswehr bewerben, um nach erfolgreicher Musterung dort seinen Wehrdienst zu leisten. Aber mit Wehrgerechtigkeit hat Pistorius’ neuer Vorschlag zum freiwilligen Wehrdienst von Männern nichts zu tun. Denn Frauen und Diverse werden erst gar nicht angeschrieben, um einen Fragebogen verpflichtend auszufüllen. Das verstößt eklatant gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter laut unserem Grundgesetz.

Eine Aufstockung der Bundeswehr in absoluten Kriegs- und Krisenzeiten muss generell auf freiwilliger Basis erfolgen. Am wirksamsten wäre daher eine Berufsarmee und Elitetruppe. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen neue Anreize für einen Dienst in der Bundeswehr gesetzt werden. Ich denke da vor allem an die gezielte Anwerbung von Asylbewerbern und ausländischen Bürgern in Deutschland. So sollten zum Beispiel Flüchtlinge und/oder ausländische Bürger in Deutschland aufgrund ihres Wehrdienstes in der Bundeswehr schneller unbegrenzt Asyl und/oder die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen können. Der Wehrdienst in der Bundeswehr würde damit ein effektiveres Mittel und Instrument zur Kameradschaft und besseren Integration in unsere Gesellschaft.

Roland Klose, Bad Fredeburg

Damoklesschwert im Grundgesetz

Boris Pistorius sieht sein Modell des Auswahlwehrdienstes als Startpunkt einer Debatte um die Herstellung der personellen „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands. Ich wünsche mir, dass diese Debatte endlich einmal grundsätzlich und aufrichtig geführt und dabei nicht vor Artikel 12a des Grundgesetzes haltgemacht wird.

Dieser nachträglich in das Grundgesetz eingefügte Artikel ist ein Damoklesschwert, das damals ausschließlich über den Köpfen der Männer aufgehängt worden ist. Denn er bringt ausschließlich die Männer in die prekäre Situation, damit rechnen zu müssen, im Spannungsfall oder Verteidigungsfall – wenn das Berufsheer nicht (mehr) ausreicht – zum Kämpfen an der Front verpflichtet zu werden. Der dieses Damoklesschwert haltende Faden ist derzeit wohl so dünn wie schon lange nicht mehr. Und was ein Herabfallen dieses Damoklesschwertes auf die Männer für diese bedeuten würde, lässt sich an den grauenhaften Bildern und Berichten von der Front im Ukrainekrieg ermessen.

Artikel 12a des Grundgesetzes ist eine krasse, weil die Frage von Leben oder Tod betreffende, Ausnahme vom Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 des Grundgesetzes. Und aufgrund dieses seines Ausnahmecharakters bedarf dieser Artikel dringend einer Hinterfragung: Passt diese Vorschrift noch zu unserem heutigen Denken über Geschlechterrollen? Braucht es zur Abschaffung des Patriarchats nicht auch eine Befreiung des Mannes aus der Kriegerrolle? Darf man die unmittelbare Kriegslast heute noch schematisch entlang der Geschlechtergrenze verteilen? Eine Debatte über Artikel 12a des Grundgesetzes ist seit mehr als zwei Jahren dringendst fällig. Ob Politik und Journalismus sich dieses Themas aus Verpenntheit oder aus Verbohrtheit nicht eingehend annehmen, frage ich mich immer wieder.

Markus Schwarz, München

Falsche Sicherheit

Im Grundgesetz, Artikel 87a, Absatz 1 steht, dass der Bund zur Verteidigung Streitkräfte aufstellt. Damit wird eine der vornehmsten Aufgaben des Staates festgeschrieben, nämlich die Gewährleistung äußerer Sicherheit. Bundeskanzler Olaf Scholz sollte diesen Artikel endlich mit Leben füllen und die Bevölkerung nicht länger in falscher Sicherheit wiegen. Und er sollte Verteidigungsminister Boris Pistorius das geben, was er für eine robuste Bundeswehr braucht.

Klemens Hofmann, Marbach am Neckar

Recht auf körperliche Unversehrtheit

Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu erlangen, gehört zu den zentralen Errungenschaften unserer Demokratie- und Freiheitsgeschichte. Kern der Würde des Menschen ist seine Selbstzwecklichkeit und damit der Anspruch, weder von Dritten zum bloßen Instrument fremder Zwecksetzung missbraucht, noch in seinem Handeln und in seiner Lebensführung fremdbestimmt zu werden. Wird ein Bürger verpflichtet, zu den Waffen zu greifen, bedeutet dies, dass er körperliche und seelische Verletzungen bis hin zum Tod erleiden und dies auch anderen zufügen muss. Kein Staat sollte das Recht haben, seine Bürger zu opfern, auch wenn es um die Verteidigung des eigenen Staates und seiner Grenzen geht. Der Wehrdienst muss daher immer freiwillig sein, um dem Artikel 1 unseres Grundgesetzes genüge zu leisten. 

Dabei ist zu beachten, dass die Pubertät bis zum Alter von 23 bis 25 Jahren dauern kann und das jugendliche Gehirn bis zu dieser Zeit noch im Umbau ist. Jugendliche in diesem Alter könnten überfordert sein, eine derart folgenschwere Entscheidung wie die Bereitschaft zum Wehrdienst zu treffen. Es wäre sinnvoll, die Reife und Entwicklung des Gehirns bei der Festlegung der Verpflichtung zu berücksichtigen, um sicherzustellen, dass junge Menschen eine reife Entscheidung treffen können. Bei der Kontroverse über die gesetzliche Impfpflicht schlugen die Wellen zu Recht hoch, da sie eine erhebliche Beeinträchtigung rechtlich und moralisch geschützter Güter bedeutete. Wie viel mehr gilt dies erst für die allgemeine Wehrpflicht

Dr. Hildegard Gassenmaier, Fröhnd

Wehrpflicht bei Frieden

Bei der Diskussion über eine Wehrpflicht im Friedensfall entsteht bei den Betroffenen der Eindruck, dass diese bei einer Ableistung eines Wehrdienstes in der Bundeswehr im Falle eines Konfliktes in den Kriegsdienst berufen werden. In diesem Zusammenhang wird nicht unterschieden zwischen einer Wehrpflicht im Friedensfall und einer Wehrpflicht im Spannungsfall beziehungsweise Verteidigungsfall.

Bei der jetzigen Diskussion über die Wehrpflicht geht es nur um eine Wehrpflicht im Friedensfall. Sie unterscheidet sich erheblich von einer Wehrpflicht bei der Feststellung und Ausrufung der Regierung eines Verteidigungsfalls. Im Rahmen der im Mai 1968 erlassenen Notstandsgesetze wurden auch die Grundlagen der Möglichkeiten in der Feststellung des Verteidigungs- und Spannungsfeld in der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. Sollte eine Situation es dann erfordern, dass eine erhöhte militärische Alarmstufe eintritt, der sogenannte Spannungsfall, oder gar der Verteidigungsfall, so ist die Bundeswehr befugt, gemäß § 3 Abs. 5 WPflG Wehrpflichtige von 18 bis 60 Jahren einberufen – unabhängig davon, ob sie der Reserve angehören oder nicht. Generell sieht Artikel 12a des Grundgesetzes nur vor, dass Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden können. Im Verteidigungsfall können laut Absatz 4 aber auch Frauen zu Dienstleistungen in zivilen Sanitäts- und Heileinrichtungen verpflichtet werden.

Walter Rößeler, München

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung, gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und des Wohnorts. Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de. Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: