Süddeutsche Zeitung

Wehrpflicht:Verteidigung und Verweigerung

Welchen Stellenwert haben Bundeswehr und Bundesfreiwilligendienst, während in Europa ein Krieg tobt?

"Wir sind Helden" vom 28. Februar:

Nachdenken über Wehrhaftigkeit

So befremdlich wie die jüngste Friedensdemonstration in Berlin ist dieser Artikel. Ist es angesichts der politischen Realität, wie sie seit einem Jahr schonungslos zutage tritt, so unverständlich, wenn es jetzt Menschen gibt, die ihre seinerzeit begründete Kriegsdienstverweigerung nun in einem neuen Licht sehen? Seit Februar 2021 wissen wir, dass es Staaten gibt, die bereit sind, einen Angriffskrieg zu führen, ungeachtet aller diplomatischer Bemühungen. Wer da immer noch glaubt, mit seiner Kriegsdienstverweigerung zum Frieden beizutragen, muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen.

Wer jetzt über die eigene Wehrhaftigkeit nachdenkt, ist nicht von Patriotismus überwältigt, sondern in berechtigter Sorge um die eigene Sicherheit. Mir fehlt das Eingeständnis, dass der Luxus, den Kriegsdienst zu verweigern, auch damit zu tun hat, dass man die Frage der deutschen Sicherheit den Amerikanern anvertraute. Ich glaube nicht, dass die Deutschen, die die neue politische Wirklichkeit erschreckt, Kriegshirne haben, sondern dass sie aus gutem Grund die moralische Selbstgewissheit einer pazifistischen Haltung in dieser Situation als verlogen empfinden.

Prof. Reinhard Seifried, Unterwössen

Eine Ohrfeige für Verweigerer

Ich weiß zwar nicht, ob und wann Hilmar Klute den Kriegsdienst verweigert hat, aber seine Schilderung ist eine Ohrfeige für Tausende Verweigerer, die in den frühen 1980er-Jahren der Erniedrigung und Willkür der Kreiswehrersatzämter ausgeliefert waren. Sie mussten nicht nur die intimsten Fragen beantworten und, um ihre Gewissensentscheidung zu rechtfertigen, einen "Gewissens-Striptease" vor einem äußerst fragwürdig besetzten Gremium abhalten. Es wurden auch Verweigerer völlig willkürlich abgelehnt. Die Anerkennungsquote lag keineswegs bei 100 Prozent, wie Hilmar Klute impliziert, sondern war gedeckelt. Wenn die Quote erreicht war, wurden die Verweigerer abgelehnt und mussten in Revision gehen. Die Verweigerer verloren dann Monate ihres Lebens mit Warten, denn bis zum Verhandlungstermin, der oft erst sechs bis zwölf Monate später anberaumt wurde, konnte man nicht wirklich planen. Wer dennoch anfing zu studieren, lief Gefahr, unerwartet sein Studium unterbrechen zu müssen. Auch wenn es einigen gelang, den Zivildienst auf nach dem Studium zu verschieben, so war auch dies eine Belastung - zumal er länger war als der Wehrdienst.

Erst die "Postkartenregelung", die 1983 de facto die Gewissensprüfung ablöste, führte zu einer Gleichbehandlung von Wehrdienst- und Zivildienstanwärtern. Das KDV-Prüfungsverfahren (1956 - 1983) zählt für mich zu einem dunklen Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte, so wie das erste Drittel der 80er-Jahre - auch wenn es regionale Unterschiede gegeben haben mag.

Ralf Terbrüggen, Neuried

Verdammt befriedigende Erfahrung

Ein grandioser Text. Ich war selbst 2005/06 Zivi an einer Förderschule für geistig und körperlich behinderte Kinder. Etwas pathetisch formuliert: Viel mehr habe ich danach trotz BA, MA und Promotion nicht mehr gelernt. Es war eine für mich erfüllende und für die Kinder wichtige Tätigkeit - und wie Hilmar Klute zu Recht schreibt: Wir waren billige Arbeitskräfte. In der ganzen Debatte um die "Wehrpflicht" kommt mir dieser Aspekt zu kurz: was für eine verdammt befriedigende Erfahrung so ein Zivi-/Freiwilligenjahr für einen persönlich sein kann, und wie wichtig der Austausch mit jungen Leuten für Förderschulen, Krankenhäuser oder Seniorenheime, unsere Gesellschaft als Ganzes ist. Ein spätes Boomer-Bekenntnis zum Bund ist wohlfeil, aber bitte nicht auf Kosten des Zivildienstes, der an allen Ecken und Enden fehlt.

Dr. Gordian Ezazi, Düsseldorf

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