Süddeutsche Zeitung

Wechselmodell:Vätern und Kindern ein Anliegen

Lesezeit: 3 min

Wenn Scheidungskinder alle zwei Wochen entweder bei der Mutter oder beim Vater wohnen, nennt man das Wechselmodell. Leserinnen und Leser der SZ sind sich nicht einig darüber, ob sie das gut finden sollen.

"Explosives Modell" und "Von der Rolle" vom 12. Juli:

Auf Verständigung setzen

Mit Interesse haben wir Constanze von Bullions Kommentar "Explosives Modell" zum Wechselmodell gelesen, allerdings nicht mit Zustimmung. Wir halten ihre These "Wechselmodell funktioniert eh nicht", die wir aus dem Kommentar herauslesen, für falsch und kontraproduktiv.

Wir sind ein Ehepaar und haben vier Kinder: ein gemeinsames und drei mit Ex-Partnern. Von diesen dreien leben zwei im Wechselmodell und eines im klassischen Modell (jedes zweite Wochenende ...). Wir haben also den Vergleich. Glauben Sie uns, unsere Ex-Partner sind oft sehr nervig. Wir sehen viele wichtige Dinge anders als sie. Mit einem von ihnen hatten wir einen üblen Gerichtsstreit. Wenn es nur um uns ginge, hätten wir nichts dagegen, wenn wir keinen Kontakt mehr hätten. Es geht aber nicht nur um uns.

Der Kommentar scheint uns völlig einseitig aus der Perspektive der Trennungsmütter geschrieben zu sein. Die Anliegen der Väter und der Kinder kommen nicht vor. Wenn alle auf diese Weise nur an sich denken würden, dann wäre es kein Wunder, wenn wir nur Trennungsväter hätten, die nicht zahlen wollen, und Trennungsmütter, die dem Vater die Kinder vorenthalten wollen (und den Kindern den Vater).

Unserer langjährigen Erfahrung mit Trennungskindern und Ex-Partner-Miteltern zufolge ist es grundsätzlich besser, auf Ausgleich und Verständigung zu setzen - auch wenn der Erfolg manchmal Jahre auf sich warten lässt. Es gibt sicherlich auch Fälle, in denen schlicht gar nichts geht. In unserem Umfeld gibt es reichlich Trennungskinder und zugehörige Eltern. Aber die meisten kriegen es ganz gut hin. Dass es "Seltenheitswert" hätte, dass sich Eltern nach der Trennung "einigermaßen verstehen", können wir nicht beobachten. Im Gegenteil, wir beobachten, dass sich - wenn auch zaghaft - soziale Normen etablieren, nach denen die Verantwortung für die gemeinsamen Kinder gerecht auf die getrennten Eltern zu verteilen ist.

Katrin und Tobias Hürter, München

Schlicht nicht bezahlbar

Vielen Dank für die umfassende Berichterstattung zum Thema Wechselmodell. Sie zeigt wunderbar, was wünschenswert wäre und was real von den Betroffenen umsetzbar ist. Bundesfamilienministerin Katarina Barley tut gut daran, vorsichtig zu formulieren. Das allseits gepriesene Wechselmodell ist nämlich für die meisten (verdienenden! mit Ausbildung!) Eltern schlicht nicht bezahlbar. Gerade weil die SPD auch wieder auf ihre frühere Stammwählerschaft zugehen möchte, verstehe ich diese Lobpreisungen nicht: Einer von beiden Eltern wohnt zwei Wochen lang allein in einer überdimensionierten Wohnung.

Abgesehen davon, dass bei der heutigen beängstigenden Situation auf dem Wohnungsmarkt kaum zwei Menschen eine passende Bleibe in für das Kind adäquater Nähe zu Schule/Verein/Freunden finden werden, zeigt die Praxis, dass alltägliche Abstimmungen bei bestehenden Partnerschaften schon schwierig sind. Bei Getrennten ist es häufig fast unmöglich, die logistischen Herausforderungen von Job, Kindern, zwei Wohnungen zu leisten. Es leiden auf jeden Fall die Kinder, bestimmt auch beide Elternteile. Natürlich wäre es toll, wenn sich das Wechselmodell politisch verordnen ließe. Nur bleibt dabei außer Acht, dass es sich bei den Betroffenen um Menschen handelt, die ihre Leben zu organisieren haben. Und diese Leben sind Gott sei Dank so individuell, wie es unsere Gesellschaft eben zulässt.

So wie wir uns nicht den Veggie-Day von den Grünen überstülpen lassen wollen oder das Ziel von mindestens drei Sprösslingen pro Kernfamilie von der AfD, so ist es schlicht weder finanziell noch logistisch noch emotional für die Durchschnittsfamilie leistbar, das Wechselmodell gegen seinen Willen vorgesetzt zu bekommen.

Familienrechtler, Pädagogen und Psychologen sollten sich mit ihrer fachlichen Expertise noch einmal zusammensetzen und Barley beim "genauer Betrachten" kompetent begleiten.

Maike Vatheuer-Seele, Taufkirchen

Überholtes Rollenbild

Der Kommentar "Explosives Modell" endet mit der beschuldigenden Unterstellung, dass Väter, die für das Wechselmodell und für 50:50-Betreuung sind, damit ihre Zahlungspflichten mindern wollen.

Auch Trennungsväter dürfen beanspruchen, gerade bei Trennungen für ihre Kinder verfügbar zu sein. Die Kommentatorin hält offenbar unbeirrbar daran fest, dass Männer nur zum Geldverdienen und zum Zahlen da sind. Dieses alte Rollenbild sollte doch als überholt gelten.

Das Klein-Klein, ob Aufteilung der nachehelichen Kinderbetreuung 45:55 oder 50:50, ist Erbsenzählerei. Diese Keilerei zu benutzen, um das Wechselmodell zurückzudrängen, ist abstoßend und kinderfeindlich. Das Wechselmodell ist kein "explosives Modell", sondern das Ergebnis der Gleichstellung der Geschlechter und zum Nutzen der Trennungskinder entstanden.

Dr. Martin Wöhrle, Stuttgart

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Quelle:
SZ vom 26.07.2017
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