Wald und Wildverbiss:Die Jagd nach den vielen Ursachen

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Ein geradezu klassischer Streit zwischen denen, die einen Wald bewirtschaften, und denen, die auf die Jagd gehen, schwelt weiter. Dabei zeigt sich, dass noch ein paar Faktoren mehr zu berücksichtigen sind.

"Wild braucht Wald" vom 10./11. April:

Ökonomisierter Forst

Wild braucht Wald, eine wahre Erkenntnis! Das, was wir im Allgemeinen als Wald bezeichnen, wurde seit Jahrzehnten größtenteils durch intensive Bewirtschaftung zu ertragreichem Forst umgebaut. Erhebliche Monokulturen mit Fichtenbeständen als Brotbaum der Forstwirtschaft wurden trotz vieler Warnungen angebaut. Die Bäume der ursprünglichen Wälder wurden durch die Fichte massiv zurückgedrängt. Es ging alleine, wie so oft, um Wirtschaftlichkeit und Wachstum der Erträge.

Es gibt zu viele Rehe - das Hauptargument der Forstwirtschaft für Baumschäden. Wie viele es eigentlich gibt, wissen wir nicht. Frau Dr. Hudler bestätigt das, versucht aber über Schätzungen aus Jagdstrecke und aus einer Zählung aus den 50er-Jahren, auf der Halbinsel Kale in Dänemark, auf hohe Bestände zu schließen. Wissenschaftlich sind diese Schätzungen nicht. Tatsächlich gibt es wenige Untersuchungen über Kosten, die Verbissschäden verursachen. Tatsache ist aber, dass die Schäden, die allein durch den Borkenkäfer an den Fichten verursacht werden, um ein Vielfaches höher sind.

Schädigungen aufgrund der Klimaveränderungen mit vermehrter Trockenheit, Stürmen und Schneebruch, wurden meiner Kenntnis nach auch noch nicht erfasst. Die Verbissschäden durch Rehwild hätten stark zugenommen. Ein weiteres Argument, das immer wieder für vermehrten Abschuss angeführt wird. Die Forstgutachten, die alle drei Jahre für Bayern erstellt werden, zeigen seit 1991 insgesamt einen deutlichen Rückgang der Verbissschäden, von 2015 bis 2018 nur einen leichten Anstieg von circa einem Prozent. Dabei müsste berücksichtigt werden, dass Schalenwild durch erheblich gesteigerte Freizeitaktivitäten und durch intensive bäuerliche Landwirtschaft (mit Gülleausbringung bis an die Waldränder) mehr und mehr in die Wälder verdrängt wurde. Darüber hört man leider wenig Klagen. Es bedürfte also einer komplexeren Betrachtungsweise. Einfacher ist es natürlich, eine höhere Abschussrate für Rehe zu fordern.

Die Forstwissenschaft sollte mehr dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit und nicht dem Anspruch der Wirtschaftlichkeit genügen. Dann müsste man allerdings auch aussprechen, wie viel Waldschäden durch die Forstwirtschaft mit ihren "Monokulturen" und mittlerweile mit dem Einsatz der Harvester in unseren ursprünglichen Wäldern angerichtet wurden und werden.

Dr. med. Tino Gasche, Uffing

Jäger sollten umdenken

Unser heimisches Rehwild ist ein Kulturfolger. Aufgrund seiner Erbanlagen vermehren sich diese Wildtiere infolge des überreichen Futterangebots in der heutigen Feldflur, aber auch infolge der sturm-und borkenkäferbedingten Kahlflächen in den Wäldern überaus erfolgreich. Sie müssen daher durch verantwortungsvolle Bejagung zahlenmäßig begrenzt werden, weil ansonsten die Waldverjüngung nicht gelingen kann. Das ist die Botschaft des Interviews mit der anerkannten Weihenstephaner Wildbiologin Dr. Martina Hudler.

Eine niederschmetternde Botschaft für das traditionelle jagdliche Establishment, dem solche Erkenntnisse offensichtlich nicht bekannt sind. Wie sonst verkünden seine Funktionäre immerwährend die bevorstehende Ausrottung der Rehe angesichts berechtigter Klagen der Waldbesitzer über unzureichende Abschüsse. Anstatt ihre Gefolgschaft mit der bierlaunigen Präsentation von Reh-Gehörnen auf das höchste Glück, die Erlegung von Rehböcken, mit einem prächtigen Geweih einzuschwören und anstatt die jagdliche Enthaltsamkeit im Dienste einer längst überkommenen Hege-Ideologie zu predigen, täten sie gut daran, die Jägerschaft im Lande mit Erkenntnissen der zeitgemäßen Wildbiologie vertraut zu machen. Dann fiele es vielleicht manchem vernünftigen Jägersmann leichter, den Waldeigentümern in seinem Revier mit angemessenen Abschüssen unter die Arme zu greifen, wenn sich diese um die Nachzucht zukunftsfähiger Mischwälder bemühen.

Karl Heinrich Knörr, Walpertskirchen

Rehe unter Druck

Das Interview kommt vordergründig informativ und differenziert wissenschaftlich daher, aber es beinhaltet doch wieder nur altbekannte logische Kurzschlüsse, Verdrehungen und ideologische Vorgaben. Wieso sollen Vegetationsgutachten, die den Wildverbiss aufnehmen, aussagekräftiger sein als die Aufnahme des Baumbestandes, der neben und mit dem verbissenen hochkommt? Wieso soll ein Wirtschaftswald, der den gerade mal aktuellen forstwirtschaftlichen Idealvorstellungen entspricht, dessen Wert und Schaden daran für die Holzwirtschaft in Geld berechnet wird, besonders ökologisch sein? Ist ein bezüglich Artenreichtum von Flora und Fauna sowie Klimaveränderungsresistenz "wertvollerer" Wald tatsächlich einer, in dem es möglichst wenig (Reh-) Wildverbiss gibt, die Bäume möglichst sägewerktauglich wachsen?

Wildtiere unterliegen nicht nur dem Jagddruck, sondern einem (vielfach höheren) Freizeit-, Verkehrs-, land- und forstwirtschaftlichen Druck, der zu den beklagten Verbissschäden wesentlich beiträgt, da das Wild zur Nahrungsaufnahme entsprechende andere Biotope kaum mehr aufsuchen kann. Meine Erfahrung in 46 Jahren als Jägerin, langjährige Jagdpächterin und zusätzlich Teilnehmerin an der "modernen Jagdform Drückjagd" in Staats- und Privatforsten zeigt, dass von den dort angeblich hohen Rehwildstrecken bei geringem zeitlichen und finanziellen Aufwand schon lange keine Rede mehr sein kann. Die Zahl der dort noch erlegten wenigen Rehe steht in keiner angemessenen Relation zum betriebenen Aufwand. Und Dank geringem Wildverbiss überwuchert der gehegte Jungwald zum Beispiel in Form von Buchen andere Wunschbaumarten und muss dann kostspielig per Menschenhand reduziert werden. Gudrun Pfitzner, München

© SZ vom 12.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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