Wahlrechtsreform:Zeit für Veränderung

Es sei skandalös, was sich die Parteien im Bezug auf das Wahlrecht in den letzten Jahren geleistet hätten, findet ein Leser. Vielen sehen das ähnlich: Die Parteien würden aus purem Egoismus handeln, für mehr Bürgernähe sorge das aktuelle System indes keineswegs.

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Wird das Wahlrecht nicht reformiert, könnten bald mehr als 800 Abgeordnete im Bundestag sitzen.

(Foto: imago images)

Zu "Streit über Wahlrechtsreform" und "Keiner will verzichten" vom 29. Juli:

Purer Egoismus

Es ist ein Skandal, dass die Parteien CDU und CSU aus purem Egoismus nicht willens sind, das Wahlrecht zu reformieren. Gilt nun unsere Verfassung allgemein oder nur für die "kleinen Leute", nicht aber für die Bundestagsabgeordneten? Wann werden unsere Verfassungsrichter endlich eingreifen, um diesen Missstand des übergroßen Bundestags, der so viel Geld kostet und unserer Demokratie sehr schadet, zu beseitigen. Eine einfache Lösung wäre meiner Meinung nach zum Beispiel: Aus jeweils zwei Wahlkreisen wird nur eine Person, die die meisten Stimmen erhalten hat, direkt in den Bundestag gewählt.

Josef Hanauer, Karlsruhe

Es braucht öffentlichen Druck

Öffentlicher Druck muss die Aufblähung des Bundestages verhindern. Hier ein elegantes Modell, das die demokratisch notwendige Proportionalität ohne Überhangmandate wahrt: Es können einfach nicht alle Erststimmensieger in den Bundestag einziehen, wenn die Zahl der nach Zweitstimmenergebnis eroberten Listenplätze überschritten wird. Dazu sollten zunächst die Erststimmensieger mit den höchsten prozentualen Wahlkreisergebnissen in den Bundestag einrücken. Die zunächst nicht berücksichtigten Erststimmensieger bleiben auf einer Reserveliste für Nachrücker für ausscheidende Abgeordnete. 2017 wären 46 Erststimmensieger auf einer solchen Warteliste gelandet, von denen mittlerweile einige bereits nachgerückt wären.

Dr. Gerd Eisenbeiß, Bonn

Nur mit der absoluten Mehrheit

Es gäbe einen praktikablen Weg, die Zahl der möglichen Überhangmandate wesentlich zu verringern, ohne die Zahl der Wahlkreise selbst zu verändern. Sie setzt allerdings auch eine Änderung des Wahlrechts voraus: Als in seinem Wahlkreis direkt gewählt sollte künftig nur noch gelten, wer die absolute Mehrheit der Erststimmen erreicht hat. Das hätte jedenfalls eine drastische Reduzierung direkt gewählter Abgeordneter zur Folge.

Eine Variante dieses Vorschlags mit weniger einschneidenden Folgen könnte so aussehen, dass nur noch als direkt gewählt gilt, wer mindestens 20 oder 15 Prozentpunkte vor seinem nächsten Konkurrenten liegt. Das würde auch die missliche Situation vermeiden, dass jemand seinen Wahlkreis mit einem minimalen Vorsprung "erobert". Eine Wahlrechtsänderung dieser Art träfe alle Parteien mehr oder weniger gleich stark - eine Einigung darauf müsste also eigentlich möglich sein.

Dr. Rolf-Peter Carl, Melsdorf

Zweitstimme soll maßgeblich sein

Das Problem der Aufblähung des Bundestags durch Überhang- und Ausgleichsmandate ließe sich ganz einfach dadurch lösen, dass künftig statt der Hälfte nur noch ein Drittel der Abgeordneten als Wahlkreisabgeordnete, also über die Erststimme, in den Bundestag gelangt. Die Zweitstimme bliebe für die Verteilung der Mandate an die Parteien maßgeblich; bei einer Gesamtgröße des Bundestags von 600 Sitzen würden 200 über die Wahlkreise und 400 über die Landeslisten besetzt.

Die Wahlkreise müssten dadurch etwas vergrößert werden, was theoretisch auf Kosten der Bürgernähe ginge, aber verschmerzbar wäre angesichts der Vorteile: die Aufblähung zu beenden, die Transparenz zu erhöhen und die Wahlgleichheit wiederherzustellen. Andreas Knoll, Poing

Es braucht mehr Wahlkreise

Es ist tatsächlich skandalös, was sich die politischen Parteien in Sachen Wahlrecht seit Jahren leisten. Wieder einmal stellen sie ihre eigenen Interessen vor die Interessen des Staates. Kein Wunder, dass das Vertrauen in die politischen Parteien ständig weiter schwindet. Dabei sind die Argumente der Parteien zum Teil ja sogar nachvollziehbar, insbesondere das Argument der Union, dass die Zahl der Wahlkreise nicht weiter verringert werden darf, um die Distanz zwischen Abgeordneten und Wähler nicht noch weiter zu vergrößern.

Aber wenn die Union dieses Argument wirklich ernst meint, dann müsste sie ja eigentlich dafür sein, die Zahl der Wahlkreise zu vergrößern, um die gegenwärtige Blockade zwischen den unterschiedlichen Standpunkten der Parteien aufzulösen und das Problem der Überhang- und Ausgleichsmandate zu beseitigen. Verdoppelt man zum Beispiel die Anzahl der Wahlkreise, sodass jedem planmäßigen Abgeordneten ein Wahlkreis zugeordnet werden könnte, dann erreicht man eine wesentlich größere Nähe der Abgeordneten zu ihren Wählern, was in jedem Fall für unsere Demokratie förderlich wäre.

Volker Kirchdörfer, Saarlouis

Geänderte Staatsgebiete

Es ist an der Zeit, endlich einen großen Schnitt zu machen: drei Staatsgebiete (Süd, Nord und Ost) mit dazugehörigen Landesparlamenten und Regierungen. Weg mit den Stadtstaaten oder einem landkreisgroßen Bundesland. Ich glaube, die Mehrheit der Bürger würde diesen Schritt mittragen. Jeweils ein Abgeordneter wäre zuständig für 200 000 Bürger.

Dann können Parlamente, Regierungen und Ausschüsse wieder effektiv arbeiten und benötigen vielleicht auch wieder weniger Berater, und die Gesetze werden wieder selbst erarbeitet und nicht von Lobbyverbänden diktiert. Und um die Utopie auf die Spitze zu treiben, würden dann eventuell die wirklich wichtigen Themen auch endlich einer belastbaren Lösung zugeführt. Dann würden diese Volksvertreter ihrer Bezeichnung gerecht, wären ihr Geld wert, und den rechtslastigen Strömungen würde der Wind aus den Segeln genommen.

Ferdinand Maier, Passau

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