Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Thüringen:Demokratische Perspektive gesucht

Viele Leser haben der SZ zur Landtagswahl geschrieben. Manche äußern sich entsetzt, andere frustriert über den Umgang der Politik mit dem unliebsamen Ergebnis. Wichtigster Wunsch der meisten: eine legitimierte Regierung in Erfurt.

Zu "Einfach unerträglich" vom 15./16. Februar, "Die Lebenslüge des Bürgertums" vom 13. Februar, "Die Chaoten" und "Denn sie wussten, was sie tun" vom 8./9. Februar sowie zu "FDP kommt mit AfD-Hilfe an die Macht" vom 6. Februar:

Linke und AfD nicht gleichsetzen

Wenn Bodo Ramelow sagt: "Ich finde die Gleichsetzung von Linke und AfD einfach unerträglich", dann kann man dem nur zustimmen. Es waren nicht die Linken, die Auschwitz gebaut haben. All das erinnert mich an einen jüdischen Freund, der in Auschwitz war und mich vor ein paar Tagen zu seinem hundertsten Geburtstag eingeladen hat. Vor ein paar Wochen sagte Eddie Jaku zu mir: "Die Nazis haben mich ins KZ gesteckt, und die Russen haben uns rausgeholt." Das ist eigentlich alles, was man wissen muss, um zu verstehen, warum Bodo Ramelow recht hat.

Thomas Klikauer, Sydney/Australien

Wählen, bis das Ergebnis passt?

Jetzt wird in Thüringen gewählt, bis das Ergebnis passt? Liebe Politiker und Medien, bitte die Wähler nicht vergessen! Die haben sich das absurde Schauspiel gemerkt. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl. Die AfD wird noch mehr Stimmen bekommen.

Paul Nemec, Sachsenheim

Historisch gemeinsame Ziele

Ich möchte dem Politologen Claus Leggewie in dem Interview in einem Punkt widersprechen: In den 1920ern und 30ern haben nicht nur der rechte Rand und die extremistische "Mitte" die Republik zu Fall gebracht, sondern auch die KPD. Es ist keine "Lebenslüge des Bürgertums", sondern eine Tatsache, dass die stalinistische Thälmann-KPD in den Jahren vor 1933 das atemberaubende Kunststück fertiggebracht hat, als Hauptfeind nicht etwa die NSDAP, sondern die SPD ("Sozialfaschisten" haben sie sie genannt) zu identifizieren. Mit den Nazis teilten sie das Ziel "Hauptsache, weg mit dem (kapitalistischen) System". Dieser irrsinnige Fehler, der auch viele Kommunisten das Leben gekostet hat, hängt noch immer wie ein Mühlstein um den Hals der Linken - auch wenn sich ein Großteil der Linkspartei heute zur Demokratie und zum Parlamentarismus bekennt. Aber die Grenze zu jenen, denen der Kampf gegen das "System" wichtiger ist als der Zusammenhalt der Demokraten, ist unscharf. Es gibt auch heute einen unappetitlichen Bereich, in dem die AfD und Teile der Linken sich berühren, etwa bei den grotesken Sympathien für einen Schwule hassenden, nationalistischen, militaristischen Diktator wie Wladimir Putin.

Dr. Oliver Thomas Domzalski, Hamburg

Linken-Verfolgung unangebracht

Die Büchse der Pandora wurde geöffnet, durch das unwürdige Verhalten von FDP und CDU während der Wahl in Thüringen.

Wie ist es möglich, dass Parteien, die sich als liberal beziehungsweise christlich bezeichnen, mit dem faschistischen und rassistischen Teil der AfD zusammen den Wahlsieger Ramelow zu Fall bringen. Auch wenn sich die Bundespartei der CDU distanziert, trifft sie eine erhebliche Schuld an dem Debakel in Thüringen. CDU und FDP haben es bis jetzt nicht geschafft, die Partei der Linken als eine demokratische Kraft anzuerkennen, die sie ohne Zweifel inzwischen ist. In den Augen von CDU und FDP werden die Linken gern mit den Rechtsextremen gleichgesetzt. Das ist schändlich. Dieses zwanghafte Verhalten, Linke zu diskreditieren, wurde bereits früher angewandt, man erinnere sich etwa an die Rote-Socken-Kampagne.

Dabei muss man wissen, dass die CDU jahrzehntelang von Altnazis durchsetzt war. Die Partei hatte keine Scham, sich dieser Leute zu bedienen, obwohl sie sehr wohl Kenntnis von deren Vergangenheit hatte. Gerade wenn man das bedenkt, sollte man sich von rechtsextremen Kreisen stark abgrenzen. Man hat einen tüchtigen linken Ministerpräsidenten verhindert, es wurde gemeinsame Sache mit der Höcke-AfD gemacht, einer besonders hässlichen Variante der AfD. Wie immer man zu den Linken stehen mag, der Terror kommt vom rechten Rand. Die Aversion, mit der die CDU die Linke verfolgt, entbehrt der Grundlage. In ihrem Wahn sind Linke eine Gefahr, um sie zu verhindern, ist ihnen anscheinend jedes Mittel recht. Ausgerechnet der sehr vernünftige Politiker Bodo Ramelow wird Opfer der Paranoia von CDU und FDP.

Annemarie Dembélé, Hamburg

Aus Protest auf AfD setzen

Ich finde es unglaublich, wie sich die CDU, aber teils auch die FDP von der SPD, den Grünen und Linken vorführen lässt! Für mich sind die SED-Nachfolger genauso wenig akzeptabel wie die Rechten! Viele konservative Wähler werden aus Protest die AfD wählen.

Wolfgang Meyer, Memmingen

Gedankenspiel zu Neuwahlen

Nur so ein Gedankenspiel: Wenn nach der Wahlwiederholung die Wahl des Ministerpräsidenten ansteht, könnte die AfD all ihre Stimmen dem Linken Ramelow geben. Er wäre also Ministerpräsident von Gnaden der AfD. Würde er sich genieren und zurücktreten? Wie würden die selbsternannten Superdemokraten und die Journalisten reagieren?

Anni Geuge, Waldkraiburg

Verhalten führt in die Sackgasse

Das Grundprinzip der Demokratie lautet "Der Wähler ist der Souverän ". Seine Entscheidung ist zu respektieren, auch wenn sie einigen Politikern nicht passt. Neuwahlen zeigen an, dass der Wählerwille nicht ernst genommen wird beziehungsweise die Politiker nicht in der Lage sind, zu Kompromissen innerhalb des Wahlergebnisses zu kommen. Völlige Ausgrenzung, in dem Fall der zweitstärksten Partei AfD, bringt häufig den Ausgegrenzten zusätzliche Stimmen. Sinnvoller ist es, nach den Gründen für die Wahl der AfD zu fragen und sich damit auseinanderzusetzen.

Debatte online

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Wie soll es in Thüringen weitergehen? sz.de/lieberknecht

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Nachdem die "bürgerlichen Parteien" nicht bereit waren, der bisherigen, insgesamt nicht erfolglosen rot-rot-grünen Koalition zur Mehrheit zu verhelfen, mussten sie davon ausgehen, dass eine Alternative aus AfD, FDP und CDU, die über 48 Sitze verfügt, erfolgreich einen Ministerpräsidenten wählen kann, wie es nun die Wahl von Herrn Kemmerich (FDP) gezeigt hat. Eine zweifellos ungewöhnliche Wahl, weil die FDP lediglich über fünf Sitze verfügt. Die Situation in irgendeiner Weise mit der Machtergreifung Hitlers zu vergleichen, der vom damaligen Präsidenten Hindenburg bei einem Wahlergebnis der NSDAP von 33 Prozent zum Kanzler ernannt wurde, ist absurd.

Herr Kemmerich ist ein überzeugter Demokrat, wurde auf demokratische Weise zum Ministerpräsidenten gewählt und will das Land in Zusammenarbeit mit im Sinn der Demokratie vernünftig denkenden Politikern regieren. Dass dabei Forderungen der AfD, soweit sie demokratiefeindlich sind, nicht berücksichtigt werden, war für die AfD vorauszusehen. Eine Haltung, grundsätzlich alles abzulehnen, was mit Zustimmung der AfD zustande kommt, ist undemokratisch, führt in die Sackgasse.

Dr. Heiko Barske, Seefeld

Naive Parlamentarier

Solange die Christdemokraten die Linkspartei nicht als vollwertige demokratisch legitime Volkspartei in Thüringen akzeptieren oder in ihrer Ablehnung gar mit der AfD gleichsetzen, kann es niemals eine gedeihlich parlamentarische Zukunft für Thüringen geben. Wenn sich jetzt der schon wieder mal von Saulus zu Paulus mutierte Markus Söder in dem Zusammenhang über das Verhalten der CDU und FDP echauffiert, sind es doch gerade er und seine CSU, die die Linkspartei immer noch mit den Erzkommunisten der DDR gleichsetzen. Des Weiteren war diese Wahl ein weiterer Beweis, dass die heutigen Demokraten den Populisten wie Höcke in Thüringen oder weltweit Protagonisten wie Trump, Johnson, etc. hoffnungslos unterlegen sind, da viel zu naiv und vor allem viel zu sorglos. Keine gute Perspektive für die Zukunft.

Heinrich Schwab, Stockdorf

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Quelle:
SZ vom 19.02.2020
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