Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Brandenburg und Sachsen:An den Erfolgen der AfD scheiden sich die Geister

Während einige SZ-Leser vor weiterem Erstarken der Rechtspopulisten warnen, plädieren andere für Einbindung statt Abgrenzung der demokratischen Kräfte in der Partei. Die Groko im Bund solle endlich ungeliebte Themen klar adressieren.

Zu "Die Wahlen, die Folgen" vom 3. September, "Triumphieren im Ballsaal" vom 2. September und "Menetekel im Osten" vom 31. August/1. September:

Andere machen die Partei stark

Die AfD "lebt von der Behauptung, anders zu sein als alle anderen", so schreibt der Autor; aber den entscheidenden Punkt, wo sie anders ist als alle anderen, und der ihren Aufstieg entscheidend beflügelt, den streift er nur: das Thema Migration. Solange alle anderen Parteien bei diesem Thema keine klaren und realistischen Konzepte vorweisen, bleibt das der Erfolgsfaktor für die AfD, der sie vermutlich weiter stärken wird. Würden sie es tun - siehe den Schwenk der Sozialdemokraten bei der Migrationspolitik in Dänemark - dann könnte das zur Schrumpfkur für die AfD werden. Aber solange - wie geschehen - Andrea Nahles harsche Kritik - auch aus den eigenen Reihen - erntet für den Satz "... wir können nicht alle bei uns aufnehmen" - eigentlich eine Binsenwahrheit - solange wird es mit der AfD weiter bergauf und mit der SPD und anderen weiter bergab gehen.

Karl-Ludwig Barth, München

Aufarbeiten der Vergangenheit

Die Wahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg kann man nur als Super-Gau, als eine riesige Katastrophe für die Demokratie bezeichnen. Diese Nazi-Partei wurde von rund jedem Vierten in diesen Bundesländern gewählt und prägt mit ihrer hässlichen Unkultur das Gesicht in großen Teilen des Ostens. Der "Aufstand der Anständigen" ist jetzt real und nicht nur als Lippenbekenntnis gefragt. In keinem Fall dürfen Demokraten sich mit diesem Desaster abfinden oder sich daran gewöhnen. Sonst leidet das noch immer in vielen Bereichen humane Antlitz dieser Republik insgesamt. Ja, es ist politischer Widerstand mit großer Intensität gegen die Gaulands, Höckes und Weidels hierzulande so notwendig wie die Luft zum Atmen.

Es muss an den Konsens der Demokraten "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" erinnert werden und den Menschen deutlich werden, dass von der AfD keine Hilfe in ihren oftmals prekären Lebenssituationen erwartet werden kann, sondern dass gerade auch diese Vereinigung durch und durch neoliberal gestrickt ist. Wir brauchen mehr denn je eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung des deutschen Faschismus und die generelle Ächtung der Rechten.

Manfred Kirsch, Neuwied

Handlungsschwache Republik

Im letzten Drittel seines Leitartikels "Menetekel im Osten" unterstellt Kurt Kister, die Grundhaltung der Deutschen zur Nörgelei trage zum Erfolg der AfD bei. Unabhängig davon, dass sich eine solche Äußerung auf der gleichen Ebene bewegt, wie die, der Deutsche esse mit Inbrunst Sauerkraut, stellen sich mir folgende Fragen: Wer nörgelt, übt kleinliche Kritik! Ist es kleinlich, Kritik daran zu üben, dass Finanzgangster einem hilflosen Staat seit Jahren Milliarden Euro aus der Staatskasse rauben, Milliarden, die an anderer Stelle fehlen? Ist es kleinlich, anzumerken, dass sich unsere Bundeswehr in einem unwürdigen, traurigen Zustand befindet, dass es einen eklatanten Lehrermangel gibt, wo doch Bildung Deutschlands wichtigster "Rohstoff" sein müsste? Alles kleinlich? Auch die Oberstaatsanwälte in Berlin, die berichten, der Rechtsstaat ließe sich de facto in weiten Teilen nicht mehr durchsetzen? Die nörgeln?

Mir scheint eher, dass die meisten Bürger nicht entschieden und früh genug gegen die grassierende Verschlankung des Staates in seinen Kernbereichen protestiert haben. Dies hätte der AfD mehr Wasser abgegraben als weniger Nörgelei! Nicht die "Moserrepublik" ist das Problem, sondern die handlungsschwache, die pax et iustitia nicht garantiert.

Arwid Mellon, Köln

Blaues Auge für verfehlte Politik

CDU und SPD sind mit einem blauen Auge davongekommen. Das blaue allerdings stammt von 27,5 Prozent der Wähler in Sachsen beziehungsweise 17,8 Prozent in Brandenburg, welche es den Parteien als AfD aufs Auge gedrückt haben. Wesentlicher Grund hierfür ist die verfehlte Politik der Funktionsriege von CDU/CSU und SPD. Es gehört zum guten Ton, die AfD als "rechtsradikal", deren Mitglieder und Sympathisanten als "Rechtsradikale" und "Rassisten" zu brandmarken.

Es gibt völlig unstreitig in der AfD rechtsradikale Elemente in deren Parteiprogramm und, ja, es gibt auch Rassisten wie rechtsradikale Parteimitglieder und Sympathisanten. Nur: Es gibt ebenso unstreitig in der AfD auch Protestwähler, die sich aus zum Teil nachvollziehbaren Gründen von CDU/CSU und SPD nicht mehr vertreten fühlen. Das undifferenzierte In-die-Ecke-stellen solcher Menschen führt dazu, dass sich eine Wagenburgmentalität breitmacht und es zwangsläufig zu einem Schulterschluss zwischen gemäßigten AfD-Mitgliedern/Sympathisanten und rechtsradikalen Hardlinern als direkte Folge solcher Verunglimpfungen kommt.

Wenn dann noch Fraktionen im Bundestag Spielchen veranstalten, wie der stärksten Oppositionspartei - es ist nun mal die demokratisch gewählte AfD - einen Vizepräsidentenposten ein ums andere Mal zu verweigern, um sich dann als wahre Demokraten feixend auf die Schultern zu klopfen, darf man sich nicht wundern, dass Volksparteien zusammengestutzt werden.

Gleiches gilt für sonstige befremdliche taktische Manöver, welche CDU/CSU, SPD, Grüne, aber auch die christlichen Kirchen zu veranstalten pflegen: Beschlüsse, AfD-Vertreter nicht zu öffentlichen Empfängen einzuladen, bei Podiumsdiskussionen auf Kirchentagen auszuladen, ja ihnen nicht einmal die Hand zu geben, sie ziemlich unchristlich als Parias auszugrenzen, tun das Ihrige, um Opfermentalität zu erzeugen.

Wolfram Salzer, Neustadt-Wildenheid

Groko gibt perfekten Nährboden

Die AfD fordert, polarisiert, setzt auf Populismus pur, schürt Ängste und tut so, als ob sie bessere Antworten als die etablierten Parteien hätte. Leider lässt die AfD aber konkrete Antworten und Vorschläge, wie es denn besser geht, vermissen. Es kommen praktisch nur Negativ-Botschaften wie "raus aus dem Euro", "gegen Flüchtlinge" etc. Auf der anderen Seite die Noch-Volksparteien SPD und CDU, die via Groko leider nur noch verwalten, aber immer weniger Vision für unser Land und die Zukunft dessen erkennen lassen.

Das ist ja der perfekte Nährboden für die AfD, denn sie setzt auf Wähler, die sich abgehängt fühlen, nicht mehr von der Groko verstanden werden oder die einfach aus Protest AfD wählen. Ich sehe da Parallelen zu einigen US-Bundesstaaten in den USA aus dem sogenannten Rust-und-Bibel-Belt, die auf Trump setzen und allmählich begreifen, dass sich Heilsversprechen zunehmend als Luftnummer entpuppen.

Aber der starke Zuwachs der AfD wird ebenso schwinden wie bei den Grünen. Denn: Wenn all die vollmundigen Versprechen nicht eingehalten werden und der Wirtschaftsabschwung an Geschwindigkeit zunimmt, werden Lösungen gesucht, die den Menschen und der Wirtschaft Unterstützung geben. Da wäre dann eine Agenda 2030 vonnöten, wobei die Groko richtig Gas geben muss, statt weiter nur zu verwalten.

Sven Jösting, Hamburg

Annähern statt ausgrenzen

Unverständlich die hilflosen Versuche der medialen Stigmatisierung und stereotypen Ausgrenzung. Das Gegenteil von Marginalisierung ist eingetreten. Die "Paria"-Partei ist stärker denn je. Dabei könnte die Groko ein Lehrstück liefern, wie man es besser macht: durch Einbindung und inhaltliche Annäherung. Was wäre verkehrt daran, sich zum Beispiel der Position des CDU-Außenseiters Maaßen anzugleichen und Merkels Flüchtlingspolitik beim Namen zu nennen: ein Jahrhundertdebakel. Das würde nebenbei zur Befriedung weiter Bevölkerungskreise beitragen. Oder die Energiewende: ein desaströses Milliardengrab unter anderem als Folge des unsinnigen, überhasteten Atomausstiegs. Dann dürfte der Platz rechts der CDU enger werden.

Christoph Schönberger, Aachen

Profitieren vom Erfolg anderer

Das Angewiesensein der Rechten auf Erfolge der politischen Gegner wie insbesondere die friedliche Revolution von 1989, und der zweite Überfall nach 1990 von westlichen Schlaubergern wie Höcke und anderen muss doch besonders den etablierten Parteien im Osten, aber auch ihren Berliner Zentralen zu denken geben. Statt dem Gebelle von Berufsbürgern ständig zu folgen, wäre geboten, souverän nachhaltige Politik zu machen, das würde Erfolg erzeugen.

Jürgen Dressler, Mülheim an der Ruhr

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Quelle:
SZ vom 11.09.2019
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