Wachstum und Klimaschutz:Die Suche nach dem besten Maß

Auf Konsum verzichten, Gewohnheiten ändern, Verschmutzung besteuern: Leserinnen und Leser bewerten Maßnahmen, die helfen, die Ausbeutung der Umwelt einzudämmen. Aber reicht das, die Erde für nachfolgende Generationen lebenswert zu halten? Ein SZ-Streitgespräch führte die Debatte weiter.

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SZ-Zeichnung: Denis Metz

Zu "Da rennen Sie in eine Falle", Streitgespräch zwischen den Ökonomen Ottmar Edenhofer und Niko Paech, 27./28. März:

Wir müssen verzichten

Was ist das gute Leben, was gehört dazu, was nicht unbedingt? Für wie viele Menschen gleichzeitig auf diesem Planeten ist das gute Leben realisierbar ohne weiter voranschreitende Zerstörung der Umwelt? Der gern zitierte oder auch nur vorgeschobene "kleine Mann", was sollte er sich leisten können, worauf muss er verzichten? Steht dem "kleinen Mann" in China und Indien genauso viel zu wie dem "kleinen Mann" in Deutschland? Diesen Fragen müssen wir uns stellen, je eher, desto besser.

Momentan verharren wir, ähnlich wie bei Corona, in einem halb verlogenen Zustand. Viele derjenigen, die vor Veränderungen oder einer Verzichtsdebatte warnen, hoffen insgeheim, dass es für sie so weitergehen kann und das große Sterben woanders stattfindet. Dabei wird für immer mehr Menschen spürbar, was Klimawissenschaftler meinen, wenn sie von einer Zunahme von Extremwetter-Ereignissen sprechen. Auch die größten Ignoranten unter uns spüren, dass man sich für das "gute Leben" immer mehr abstrampeln muss. Die Suche nach Sündenböcken hat bereits begonnen. Je länger wir uns vor einer Diskussion der grundlegenden Fragen drücken, desto schlimmer werden die Auswüchse dieser Suche werden.

Susanne Petersen, Weinheim

Bevölkerungsgröße entscheidet

Im Interview mit Ottmar Edenhofer und Niko Paech werden komplexe soziale, ökonomische, ökologische und politische Fragen diskutiert, die im Weltmaßstab unser aller gesellschaftliche und persönliche Existenz in Gegenwart und Zukunft ganz entscheidend nachhaltig betreffen. Leider wird dabei nicht - bestenfalls implizit am Aspekt von CO₂-Emissionen und des Einkommens pro Kopf - die Bevölkerungsgröße gewürdigt. Einmal abgesehen von Fragen der Bedarfsstruktur und des Anspruchsniveaus, ist sie die zentrale Größe für Ursachen und Folgen bei dem umfassenden politisch-ökologischen Geschehen und wäre damit auch das entscheidende Steuerungselement für alle Lösungsansätze, wird doch durch Bevölkerungswachstum der Erfolg aller vorgebrachten Maßnahmen, um der Misere abzuhelfen, aufgezehrt. Bezieht man diesen Faktor mit ein, liegen Edenhofer und Paech mit ihren Vorstellungen gar nicht so weit auseinander.

Über den Faktor Bevölkerung muss nüchtern und ohne Emotionen, zu denen sich die beiden in ihren Äußerungen hinreißen ließen, diskutiert werden. Wenn das Bevölkerungswachstum stabil gehalten werden könnte, würden sich auch Spielräume für ein qualitatives, nicht lediglich quantitatives Wachstum der zu verteilenden Güter und Dienstleistungen und für die Bearbeitung der Klimaprobleme eröffnen.

Prof. Dr. Frank Göttmann, Paderborn

Dringend aus der Sackgasse

Es ist schade, dass die Herren Edenhofer und Paech schon beim Thema Klimakatastrophe nicht zueinanderfinden und dabei übersehen, dass der in einem Monat auch in Deutschland wieder fällige Erdüberlastungstag uns dringend signalisiert, dass wir neben der Klimaschädigung sehr viele Ressourcen vernichten, die für unser Überleben wichtig sind. Wasser droht vielerorts Krieg auszulösen, Bausand wird knapp, seltene Erden werden nicht reichen, um alle Batterien und Handys zu laden, die Ozeane werden fischarm, etc.

Nirgends ist erkennbar, dass die Menschen auch nur ansatzweise zu rascher Reduzierung bereit sind. Der freie Markt wird schon gar nicht helfen, weil er vom Wachstum lebt. Weder finanzielle Bremsen noch Gemeinschaftsgärten und Reparaturcafés werden den nötigen Umkehrschub bringen. Was Paech als ökosuizidalen Überfluss bezeichnet, kann für unsere Nachfahren wohl nur verhindert werden, wenn Politik und Gesellschaft sehr bald erkennen, in welche Sackgasse wir uns verrannt haben, und radikale Maßnahmen einleiten.

Dr. Wolfgang Mai, Schliersee

Solidarität mit Finanzschwachen

Wie soll eine CO₂-Strafsteuer in Höhe von 200 bis 300 Euro pro Tonne CO₂-Emission, die von den Interviewten für Deutschland gewünscht wird, das weltweite Klima beeinflussen?

Eine hohe CO₂-Steuer würde zwar gleichermaßen für Luxus- und Grundbedürfnisse anfallen, aber die Verbraucher sehr unterschiedlich hart treffen. Die wichtigsten Grundbedürfnisse sind Wohnen und Essen. Bürger mit kleinerem Einkommen und ohne Immobilienbesitz können ihren CO₂-Ausstoss zum Beispiel bei der Heizung nur geringfügig beeinflussen und können sich höhere Preise für ihre Grundbedürfnisse nicht leisten. Wir befinden uns in "einer der größten Krisen der Nachkriegszeit" (O-Ton Frau Merkel), und eine Elite ist sich nicht zu schade, selbst klassischen Arbeitnehmern Reduktionspotenziale aufzubürden.

Sehr geehrte Herren Edenhofer und Paech, setzen Sie sich bitte dafür ein, dass die CO₂-Steuer nicht Mieter belastet. Sie haben keine Chance, energetische Verbesserungen vorzunehmen. Da Immobilienbesitzer auch eine intakte Umwelt anstreben sollten und mit einer energetischen Sanierung ihre Immobilie aufwerten, sollten auch sie die Kosten dafür tragen, die vom Staat und somit von allen Bürgern ohnehin bezuschusst werden. Liebe Elite, rennt nicht in die CO₂-Falle und wagt mehr Soziales und Solidarisches für die, die es nötig haben.

Hubert Klemenjak, Mindelheim

Wirtschaft mit Steuern umbauen

Nicht nur CO₂-Emissionen, sondern jede Schädigung der Ökosphäre und der Menschen und Tiere aus Gewinnung, Transport, Verarbeitung, Nutzung und Recycling/Endverbleib der natürlichen Ressourcen muss sich im Preis des Produkts oder der Dienstleistung niederschlagen! Besteuerung muss also echt steuern: Sie muss Ressourcenverbrauch und Umweltschäden auf den Produktpreis laden!

Aus den Einnahmen werden Geringverdiener durch Transferleistungen in einer Weise entlastet, die Umweltkosten für mäßigen, angemessenen Ressourcenverbrauch voll ausgleicht. Wohlhabende dürfen sich nicht aus ihrer Mitverantwortung stehlen: Überdurchschnittlicher Konsum wird dann nicht linear, sondern exponentiell besteuert. Gegenüber ökologisch angemessenem Verbrauch doppelter Konsum also zum Beispiel vierfach so hoch.

Alle gesellschafts- und umweltdienlichen Tätigkeiten werden einkommensteuerfrei gestellt, deren bisherige Steuerleistung wird durch Umweltsteuern erwirtschaftet. Durch ökologisch langfristig verantwortbare Tätigkeiten können weiterhin Gewinne erzielt werden, so wird der notwendige "System Change" auch für Marktgläubige nicht nur erträglich, sondern gut hinnehmbar! Die Forschung, die Lehre, das Bildungssystem, die bezahlte Pflege würden alle entlastet, Ressourcenverbrauch auf ein ökologisch vertretbares Ausmaß reduziert. Es höchste Zeit für einen Relaunch unserer Wirtschaft!

Manfred Bauer, München

Letztlich sind es Energiefragen

Das Bild vom Planeten Erde als geschlossenes System wird gerne als Hauptargument verwendet, um zu begründen, dass Wachstum seine natürlichen Grenzen habe und wir als Volkswirtschaft schrumpfen oder stagnieren müssen, um uns nicht selbst die Lebensgrundlage zu entziehen. Die Erde ist aber kein geschlossenes System, auch kein nahezu geschlossenes. Wäre das der Fall, hätte es nie Leben gegeben.

Jeden Tag erreicht Sonnenlicht unsere Erdoberfläche, und zwar in einer Quantität, die den Horizont unseres gegenwärtigen Wirtschaftens völlig übersteigt. Die Menge an Sonnenenergie, die täglich auf die Erde fällt, liegt drei Größenordnungen über dem aktuellen Energieverbrauch der gesamten Menschheit. Auch der Energievorrat der Sonne ist nicht unendlich, aber sie wird zumindest für die nächsten paar hundert Millionen Jahre konstant weiterbrennen. Damit ist die auf der Erde verfügbare Energie nach unseren aktuellen Maßstäben tatsächlich unbegrenzt.

Des Weiteren sind praktisch alle Fragen bezüglich Ressourcen, die wirklich nicht unendlich sind, letztendlich Energiefragen. Nehmen wir Trinkwasser, Metalle, Minerale: Nichts davon verschwindet unwiederbringlich, wenn man es verbraucht, es wird nur in einen vorübergehend nicht nutzbaren Status überführt: Abwasser, Salzwasser, Eisenschrott, defekte Computerchips. Der ursprüngliche Zustand ist wiederherstellbar, wenn man genügend Energie zuführt. Genau das passiert jetzt schon im Klärwerk, bei der Meerwasserentsalzung oder beim Recycling.

Da unser Planet eben kein geschlossenes System ist, hat auch das Wachstum menschlicher Zivilisation (und damit auch das Wirtschaftswachstum der Welt) auf absehbare Zeit keine natürlichen Grenzen. Der Schlüssel liegt in effizienten Technologien zur Nutzbarmachung von Sonnenenergie sowie langfristig sinkenden Energiepreisen. Wer aus ideologischen Gründen dennoch gegen das Wachstum argumentieren möchte, kann das gerne tun, er muss sich aber andere Argumente suchen.

Maximilian Hohmann, München

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