„Degrowth ist eine der größten Fehleinschätzungen“ vom 12. Februar:
Partizipative Politik
Man kann nicht Wachstum abschaffen, aber den Kapitalismus beibehalten wollen. Wachstum auch nur zu bremsen, beschwört Krisen der kapitalistischen Wirtschaft herauf. Wenn man vor einer sozialistischen Revolution zurückschreckt, scheint Daniel Susskinds grundsätzliche Bejahung von Wachstum nur konsequent.
So neu ist der Gedanke ja auch wieder nicht. In der Praxis tut vernünftige Politik seit Jahrhunderten genau das: Sie versucht, klare Rahmenbedingungen zu definieren, die nach bestimmten Kriterien – zum Beispiel „Umwelt“ oder „sozialem Frieden“ – das Gemeinwohl sicherstellen, und lässt die Wirtschaft ansonsten möglichst unbehelligt vor sich hin werkeln. Unvernünftige, ideologische Politik hingegen lässt der Wirtschaft entweder zu viel oder zu wenig Freiheit. Somit wäre dann nur noch die Frage, wie sich schädliche Exzesse der Politik besser vermeiden lassen.
Daniel Susskind meint beobachtet zu haben, dass reine Parteipolitik zu sprunghaft ist, und nennt als Beispiel die USA. Als Gegenmittel empfiehlt er, die Bürger in geeigneter Form an der Lösung von Sachfragen zu beteiligen. In Deutschland ist das Problem vielleicht weniger, dass Friedrich Merz demnächst alles über den Haufen werfen wird, was unter Olaf Scholz und auch Angela Merkel beschlossen wurde. Eher wird er sich in einer Koalition gezwungen sehen, parteipolitisch motivierte Kompromisse zu schließen, was oft nicht zu wirklich schlüssigen, leicht vollziehbaren Lösungen führt. Auch gegen diese Gefahr könnten vielleicht partizipative oder sogar plebiszitäre Elemente helfen. Dass Politik allzu oft versagt, sollte Anlass genug sein, über neue Methoden nachzudenken.
Axel Lehmann, München
Ehrliche Nachhaltigkeit
Die SZ liebt offensichtlich die Botschafter der Vereinbarkeit von Wachstum und Klimaschutz und lädt sie deshalb regelmäßig zum Interview ein. Diesmal also ein junger Ökonom, der ein paar gewagte Aussagen ohne kritische Gegenfrage äußern durfte. Danach ist unendliches Wachstum möglich und die wahre Grenze sei nicht, dass der Planet endlich ist, sondern dass wir nicht genug neue Ideen generieren. Das Ganze gipfelt in der Aussage: „Die Idee, jetzt mit dem Wachstum aufzuhören, erscheint mir extrem pessimistisch.“
Es gibt in unserer Umwelt nichts, das grenzenlos wächst. Auch die Wirtschaft muss nicht wachsen. Das ist ein ideologisches Narrativ, aber keine Gesetzmäßigkeit. Welche Probleme sollte Wirtschaftswachstum in Deutschland lösen? Wir sind eines der reichsten Länder der Welt und ertrinken dennoch in ungelösten Aufgaben und blicken schockiert auf unsere zusammenfallenden Infrastrukturen. Das hat auch damit zu tun, dass Wachstumsgewinne immer ungleicher verteilt werden, wovon, wie man im Augenblick sehen kann, auch eine akute Gefahr für die Demokratie ausgeht, wenn eine neue Geldelite ihr Interesse für Politik entdeckt.
Und dann darf natürlich auch nicht die Hoffnung auf Innovationen fehlen. Irgendwer wird irgendwann schon eine gute Idee haben, wie wir das mit dem Klima technisch in den Griff bekommen, ohne dass wir aus unseren selbstzerstörerischen Konsumgewohnheiten vertrieben werden. Nur, wann gab es in der Vergangenheit diese ökologisch segensreiche Erfindung? E-Auto, Digitalisierung, KI? Alles Impulsgeber für mehr Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum. Es geht nicht um Innovation, sondern um unsere Haltung zu Technik und Wachstum.
Nachhaltigkeit und Klimaschutz beginnen mit Ehrlichkeit, mit dem Eingeständnis, dass wir die alten kapitalistischen und marktliberalen Logiken hinter uns lassen müssen, auch wenn das viele grundlegende Veränderungen bedeuten wird.
Dr. Udo Kords, Wedel
Wohlstand für wenige
Ich finde Professor Susskinds These, unendliches Wachstum auf unserem endlichen Planeten sei möglich, erstaunlich im Verhältnis zu seinen übrigen klugen Bemerkungen. Es geht nicht darum, dass es beliebig viele Songs geben kann, sondern es geht um den Ressourcenverbrauch einer wachsenden Menschheit. Ich sehe für diese Behauptung keinen Beleg, da ich trotz allen technisch-wissenschaftlichen Fortschritts an Arbeits- und Rohstoffproduktivität keine Verbrauchsstagnation und auch keinen Rückgang erkennen kann.
Selbst wenn eine globale Dekarbonisierung gelingt, stoßen wir auf die nächsten Engpässe bei den für Photovoltaik, Windgeneratoren und Wasserstofftechnologien erforderlichen Rohstoffen, deren Abbau in fernen Ländern auf immer mehr Akzeptanzhürden stößt bei den dort betroffenen Menschen – gerade bei Lithium, das für Batterien wichtig und eine erhoffte Kernfusion entscheidend ist.
Allein die Angleichung des Lebensstandards von bereits fast sieben Milliarden armen Menschen an jenen, den vielleicht eine Milliarde Europäer, Amerikaner, vielleicht 500 Millionen Asiaten und kleinere Minderheiten in der übrigen Welt genießen, wäre ein nicht leistbarer Zuwachs an materiellem Konsum und Verbrauch von bisher unentgeltlichen Leistungen der Natur.
Natürlich können wir das zu Recht problematisierte Bruttoinlandsprodukt (BIP) aufblasen, indem wir uns in kommerziellen Beziehungen gegenseitig die Haare schneiden oder den Rasen mähen. Wir können sogar davon träumen, dass die Menschheit gemeinsam die Erderwärmung und die Meeresverschmutzung aufhält, um sich einsichtsvoll die unproduktiven Kosten der Katastrophenbewältigung zu ersparen, aber die real existierende Menschheit wird daran scheitern.
Deshalb ist die realistische Perspektive eine Verknappung der erwähnten Rohstoff- und Naturressourcen mit Kostensteigerungen ihrer sauberen Gewinnung und Nutzung, deren Preiseffekt tatsächlich Innovationsanreiz bringt, aber auch Verminderung der Verbräuche. Was der Menschheit bleibt, Wachstum zu nennen, ist erstaunlich, für mich nicht überzeugend.
Dr.-Ing. Gerd Eisenbeiß, Dipl. Physiker, Bonn
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