Volksverhetzung:Die Grenzen des Sagbaren

Volksverhetzung: Neonazis fallen immer wieder mit Hasstiraden auf.

Neonazis fallen immer wieder mit Hasstiraden auf.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Der Ausruf "Judenpresse, Judenpack" bleibt nach Entscheidung der Braunschweiger Staatsanwaltschaft straffrei. Ein gefährliches Urteil, finden SZ-Leserinnen und -Leser.

"Staatsanwaltschaft sieht keine Volksverhetzung" und "An der Realität vorbei", beide vom 24. Februar:

Schädliche Blindheit der Justiz

Mit Erschrecken habe ich gelesen, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig es nach wiederholter Prüfung abgelehnt hat, einen Neonazi für seinen Schlachtruf "Judenpresse, Judenpack, Feuer und Benzin für euch" wegen Volksverhetzung strafrechtlich zu verfolgen. Die juristische Begründung für die Entscheidung, "diese Äußerung sei nicht als Hetze gegen Juden zu werten" und es lasse sich nicht belegen, dass sich der Funktionär der Partei "Die Rechte" mit diesem Ausruf "ganz allgemein gegen die in Deutschland lebenden Juden" gewandt habe, ist aus meiner Sicht unsäglich und juristisch spitzfindig.

Ist der Braunschweiger Staatsanwaltschaft nicht klar, dass sich mit der Tolerierung solcher Aussagen die Grenzen des Sagbaren immer weiter nach rechts verschieben? Wissen diese Juristen nicht, dass solche Aussagen Taten vorbereiten? Ich kann Ronen Steinke nur zustimmen, der in seinem Kommentar schreibt: "Das viel größere Problem sind Staatsanwaltschaften, die im Namen der Meinungsfreiheit Nachsicht praktizieren - gegenüber Hetzern." Mit Meinungsfreiheit hat diese Entscheidung aus meiner Sicht nichts zu tun, sondern mit einer für die Demokratie schädlichen Blindheit. Hatten wir das nicht schon einmal in unserer Geschichte?

Ursula Zitzler, Ostfildern

Kritisch nachgefragt

Mich würde interessieren, ob die Staatsanwaltschaft bei der Prüfung der Entbehrlichkeit eines Strafantrages bei Beleidigung genauso kreativ war wie bei der Suche nach Gründen, kein Strafverfahren einzuleiten. Nach Studium des § 194 Abs. 1 Satz 2 StGB hätte die Staatsanwaltschaft meines Erachtens zumindest prüfen müssen, ob sich nicht unter den Journalisten eine Person jüdischen Glaubens befunden hat. Ebenso gilt dies meiner Ansicht nach für das Ersetzen des Strafantrages durch das besondere öffentliche Interesse für die Fälle des § 194 Abs.1 Satz 3. Des Weiteren stelle ich mir die Frage, ob die beleidigten Journalisten von der Polizei belehrt wurden, dass sie einen Strafantrag stellen können, um die Strafverfolgung zu gewährleisten.

Dominik Dirnberger, Puchheim

Gehirnschmalz verbraten

Hätte der Neonazi "Staatsanwaltspresse, Staatsanwaltspack" gesagt, hätten ihn die Braunschweiger Staatsanwälte mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft. Schließlich hätte dieser Schlachtruf sie selbst getroffen. Da aber lediglich "Judenpresse und Judenpack" gerufen wurde, ist das für die Staatsanwälte nicht so schlimm. Wozu Empathie aufbringen für Menschen, die einem nicht nahestehen, für Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs von Feuer und Benzin bedroht und millionenfach getötet wurden. So scheint den Gesetzesmännern zur fehlenden Empathie auch noch Geschichtsverständnis abzugehen. Bleibt abzuwarten, welche volksverhetzenden Sprüche andere Minderheiten in Deutschland ertragen müssen, weil die Braunschweiger Staatsanwälte sämtlichen Gehirnschmalz verbraten, um das Unsagbare sagbar werden zu lassen.

Klemens Hofmann, Marbach am Neckar

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