Pariser Modewoche:Auf ins Metaversum

Pariser Modewoche: Zu den eindrucksvollsten Defilees der Modewoche zählte die Schau von Saint Laurent am Place du Trocadero mit Blick auf den Eiffelturm.

Zu den eindrucksvollsten Defilees der Modewoche zählte die Schau von Saint Laurent am Place du Trocadero mit Blick auf den Eiffelturm.

(Foto: Katharina Wetzel)

Sneakers und Abendroben werden zu virtuellen Unikaten: Luxuslabels wollen ihre Kunden nun auch in der Cyberwelt einkleiden. Doch ganz ohne Champagner und roten Teppich geht es nicht.

Von Katharina Wetzel

"Wir definieren Luxus neu", erklärte Cédric Charbit, Geschäftsführer von Balenciaga auf einer Konferenz Anfang Dezember. Balenciaga sei eine Plattform geworden, auf der alles möglich sei, Innovation komme dabei an erster Stelle: "Wir können Couture, die Simpsons, Fortnite und ein Event in einem Museum", sagte Charbit bei der Veranstaltung "Voices" von Business of Fashion und kündigte an, dass Balenciaga 100 Datentechniker und -spezialisten einstellen werde. Künftig wolle man noch stärker ins Metaversum einsteigen.

Die französische Luxusmarke macht seit einiger Zeit beispielhaft vor, wie digitales Marketing aussehen kann. Kürzlich kleidete das Traditionshaus die Figuren des Computerspiels "Fortnite" ein. Während der Pariser Modewoche, die Ende September/Anfang Oktober stattfand, ließ Kreativdirektor Demna Gvasalia Gäste wie Models über einen roten Laufsteg laufen und dabei filmen.

Das Happening war von außen für jeden sichtbar, drinnen im Théâtre du Châtelet konnten die versammelten Gäste über einen Bildschirm verfolgen, wer auf dem roten Teppich vor den Fotografen posierte. Anschließend folgte ein Kurzfilm der "Simpsons", mit Marge und Homer in Balenciaga-Outfits. Die Show geriet insgesamt etwas lang. Kaum eine Marke versteht es jedoch so gut wie Balenciaga, beide Welten miteinander zu verbinden: die physische und virtuelle.

Ein NFT ist einzigartig, fälschungssicher und somit das perfekte Instrument für die Luxusgüter-Industrie

Balenciaga ist nicht die einzige Marke, die auf dem Markt des virtuellen Universums Geschäfte wittert. Die Firma AZ Factory, die von dem verstorbenen Designer Alber Elbaz ins Leben gerufen wurde, bietet etwa limitierte Shirts an, die mit einem NFC-Tag ausgestattet sind, über das die Kunden beim Scannen per Smartphone Zugang zu einem Mitgliederprogramm erhalten. Obendrauf gibt es eine Zeichnung von Alber Elbaz in digitaler Form - ein echtes NFT, non-fungible token.

Darunter ist ein nicht austauschbarer Vermögenswert zu verstehen, ein Unikat, das über die Blockchain-Technologie abgewickelt wird. Auf dem Kunstmarkt erzielten digitale NFT-Werke schon Preise im zweistelligen Millionenbereich. Ein NFT ist einzigartig, fälschungssicher und somit perfekt für die Luxusgüter-Industrie.

Die Nutzer reizt dabei jedoch noch etwas anderes: "Im Metaversum hat der Kunde einen digitalen Datensatz, der nur ihm gehört und auch handelbar ist", sagt Achim Berg, Senior Partner bei McKinsey. Steigt der Wert, kann das NFT auch wieder versilbert werden. Bereits heute seien Luxusprodukte mit QR-Codes versehen, um die Echtheit des Produkts zu gewährleisten. Ein NFC-Tag im Etikett - NFC steht für Near Field Communication, Nahfeldkommunikation - sei quasi nun die nächste Stufe und noch sicherer, so Berg.

Bisher sind es lediglich erste Versuche; die Umsätze, die mit NFT-Produkten in der Modeindustrie erzielt werden, sind noch zu vernachlässigen, doch Modeexperte Berg ist sich sicher: "Die Reise geht jetzt ins Metaversum. Hier könnte der digitale Handel auch noch mal neu verteilt werden." Analysten der Bank von Morgan Stanley schätzen, dass der neue virtuelle Markt der Modebranche bis 2030 zusätzliche Einnahmen von 50 Milliarden US-Dollar bescheren wird. Erste Plattformen, die NFT-Produkte vertreiben, gibt es bereits.

"Beim E-Commerce bekommen Sie nicht das Glas Champagner."

"Wir sehen, dass die junge Generation, die Zeit im Metaversum verbringt, ähnliche Bedürfnisse hat wie im realen Leben", sagt Berg. Und die Vorstellung, die Kunden gleich zweimal einzukleiden - in der realen und der virtuellen Welt - ist verlockend. Künftig könnten fotorealistische Spielfiguren, sogenannte Avatare, die NFT-Mode tragen und zum zweifachen Kauf animieren, glaubt Dina Capelle, Senior Analystin bei PAC.

Das klassische Geschäftsmodell ist damit jedoch auch deutlich komplizierter geworden. Für Marken wie Balenciaga, das zu dem französischen Luxusgüterkonzern Kering gehört, oder Givenchy, das zu LVMH zählt, mag es leicht sein, sich bereits offensiv im Metaversum zu positionieren. Für kleinere Firmen ist so eine digitale Marketing-Offensive schlicht zu teuer.

E-Commerce mache bereits 30 Prozent des Umsatzes aus. Doch es gibt auch reale Probleme in der virtuellen Welt: "Beim E-Commerce bekommen Sie nicht das Glas Champagner", sagt Modeexperte Berg. Gerade die Pandemie habe gezeigt, dass man sich auch um den lokalen Kunden kümmern müsse und nicht nur chinesisch sprechendes Personal in den Boutiquen brauche.

Um die VIP-Kunden bei Laune zu halten, die für 80 Prozent des Umsatzes und einen noch höheren Anteil des Profits sorgten, lohne es sich weiterhin, auf klassische Events zu setzen, sagt Berg: "Diese Kunden wollen unterhalten und zu Events eingeladen werden, bei denen der Designer vor Ort ist. An dieser Grundidee hat sich wenig verändert." Dies konnte man auch während der Pariser Modewoche beobachten.

Die Besucher waren nach mehr als einem Jahr Pandemie sichtlich erfreut, sich wieder physisch bei einer Schau zu treffen, das Modewoche-Feeling aufzusaugen und von einem Showroom zum nächsten zu eilen. "Wenn man eines nicht möchte, dann ist es, kompliziert zu sein", sagt der Designer Lutz Huelle, während er seine Kollektion in der Rue du Temple zeigt, die gerade geschnittenen T-Shirts mit Puffärmeln einen abendlichen Touch verleiht: "Die Leute wollen sich wieder amüsieren, ein bisschen Glamour, aber es muss super simpel sein", sagt er. Auch der Gründer von A.P.C., Jean Touitou, bevorzugt derzeit persönliche Termine anstatt aufwendiger Defilees. Die klassische Kollektion, inspiriert von Schauspielerin Lauren Hutton, weist viele Basic-Teile auf und kann von Männern wie Frauen getragen werden.

Ein Trend, der seit einigen Saisons auch bei anderen Firmen zu sehen ist. Vivienne Westwood schickt schon seit Jahren Männer über den Laufsteg bei der Präsentation der Damenkollektion; bei dem jungen Pariser Label Ludovic de Saint Sernin verschwimmen die Geschlechtergrenzen fast ganz. Männer tragen eng anliegende und bauchfreie Bustiers genauso selbstverständlich wie Frauen. Das kommt auch bei der LGBTQ-Fangemeinde auf Instagram gut an.

"Die neuen sozialen Medien ermöglichen es, von der Inspiration direkt zum Einkauf zu gelangen."

Instagram, Twitter und Co. lässt heute kein Modeunternehmen mehr außer Acht. "Die neuen sozialen Medien ermöglichen es, von der Inspiration direkt zum Einkauf zu gelangen", sagt Berg. Aber auch der stationäre Handel profitiert davon. Die Kunden wollten immer häufiger genau den Look, den sie zuvor im Internet gesehen haben.

Um die sozialen Medien zu bespielen, brauchen die Marken jedoch viel mehr Events als zwei Modenschauen pro Jahr, sagt Berg: "Dafür muss man täglich oder wöchentlich mit etwas Neuem überraschen." Die Schauen und Events werden daher noch viel stärker als früher digital ausgeschlachtet, Kollektionen futuristisch inszeniert - instagramtauglich, für die jeweilige Zielgruppe.

Jonny Johansson, Creative Director und Mitbegründer von Acne Studios, sieht die größte modische Veränderung durch die Pandemie nicht in Jogginghosen und Kapuzenpullis. Neu sei vielmehr die Art, wie sich alle vor den eigenen Kameras inszenieren. In ihren Kollektionen für Frühjahr/Sommer 2022 zeigen Ann Demeulemeester, Balenciaga und Yohji Yamamoto viel Schwarz, während Isabel Marant, Coperni und Chanel lässige Strandmode tragen. Bei Dior und Giambattista Valli tragen die Models neu inspirierte Looks im Stil der Sechzigerjahre.

Und Balmain-Designer Olivier Rousteing lädt die Bevölkerung in die Seine ­Musicale, eine Konzerthalle südwestlich von Paris, zu einem Balmain-Festival. Als zum krönenden Abschluss Naomi Campbell und Carla Bruni-Sarkozy mit Bling-Bling-Roben über die Bühne laufen, jubelt der mit Hunderten Leuten voll besetzte Saal - ein Meer an Smartphones leuchtet auf. Zu den Millionen Followern auf Instagram und Tiktok dürften noch Tausende hinzugekommen sein.

"Heute haben Luxusmarken eine deutlich breitere Schicht an Interessenten", analysiert Berg. Dies sei auch eine Folge der Pandemie. "Die Leute haben sich belohnt für die harten Zeiten. Da war es auch Teil des Erlebnisses, sich vor der Luxusboutique in die Schlange zu stellen. Manche stellen sich hin, gerade weil da eine Schlange ist." Am Ende gehe es bei Luxus eben immer um Begehrlichkeit.

Zu den bezauberndsten und eindrucksvollsten Defilees der Woche zählen die Schauen von Saint Laurent, Rick Owens und Courrèges, die entweder an schönen Pariser Plätzen oder an völlig unerwarteten Orten stattfanden: nämlich nachts am Place du Trocadéro mit Blick auf den Eiffelturm, unter blauem Himmel im Art-Déco-Hof des Palais de Tokyo oder morgens um 10 Uhr im Bois de Vincennes, einem Stadtwald im Osten von Paris.

"Wir wissen jetzt, dass die physischen Schauen nicht ersetzbar sind, es gibt aber auch kein Zurück zu der Situation, wie es früher war", sagt Pascal Morand, Geschäftsführer der Fédération de la Haute Couture et de la Mode, bevor die Schau von Rick Owens beginnt und Models in grobmaschigen Strick-Ensembles an Nebelmaschinen vorbeilaufen, während schwarz gekleidete Frauen vom Dach des Monuments Jasminblätter herabwerfen, die langsam zu Boden rieseln. Gut möglich, dass dies eine Anspielung ans Metaversum war oder etwas noch viel Größeres.

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