Süddeutsche Zeitung

Ungarn:Wie umgehen mit Orbáns Politik?

Kritik an der Haltung der ungarischen Regierung zu LGBTIQ-Menschen, aber auch an der Schwulen-Szene selbst, die ihre Partikularinteressen teils überbewerte. Und ein Vorschlag zur "Rettung" der EU.

Zu "Möchtegern-Orbán" vom 1. Juli sowie zu "Dieses ungarische Gesetz ist eine Schande" vom 24. Juni:

Die ungarische Regierung driftet immer weiter nach rechts ab - und verschärft dabei ihre menschenunwürdige Sicht auf LGBTIQ-Menschen. Wenngleich Viktor Orbán behauptet, man wolle mit dem neuen Gesetz die Entscheidungsfreiheit der Eltern stärken, über Erziehungsinhalte befinden zu können, liegt dem Verbot von Aufklärung junger Menschen über die Homo-, Bi- und Transsexualität ein dem weltoffenen Gedanken der EU massiv zuwiderlaufendes Bild von der Vielfalt sexueller Orientierung zugrunde. Gleichsam kritisiere ich als bekennender Schwuler bewusst meine eigene "Community", die mit einem ständigen Aktionismus den Eindruck erweckt, als wolle man Homosexuelle besserstellen als den Rest der Gesellschaft.

Ich möchte warnen vor der Ausdifferenzierung immer weiterer Partikularinteressen. Ein Land sollte sich nicht als Zusammenschluss vieler Minderheiten verstehen, sondern einen Zustand von Gleichstellung anstreben, der die Unterteilung in Minoritäten überhaupt nicht mehr nötig macht - und den Gemeinsinn in den Mittelpunkt seines Handelns stellt. Der Lobbyismus der LGBT-Bewegung ist für mich manches Mal beschämend, weil die Wahrnehmung entstehen kann, in Deutschland würden sexuell Andersdenkende in wesentlichen Grundrechten benachteiligt. Gerade politisch wurde ein derartiger Fortschritt in der Anerkennung des geschlechtlichen Pluralismus erzielt, dass es peinlich wirkt, wenn der LSVD für die letzte Sitzungswoche des Bundestages in dieser Legislatur erneut attestiert, dass man in der Gleichberechtigung nicht weitergekommen sei.

Ich lobe mir zudem den klar sichtbar gewordenen und praktischen Protest vieler katholischer Priester, die mit Taten dafür gesorgt haben, dass der vatikanische Aufruf gegen die Segnung schwul-lesbischer Paare zumindest in Deutschland bei vielen Geistlichen nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Sie haben ihr Gewissen über die Anordnung der Kirche gestellt und die Würde des Menschen über das Dogma aus Rom gestellt.

Dennis Riehle, Konstanz

Leider ist die Europäische Union die einzige, die wir haben. Sie leidet unter Geburtsfehlern, die durch zu schnelles Wachstum verschlimmert wurden und heute anscheinend nicht mehr heilbar sind. Es bleibt meines Erachtens nur ein chirurgischer Eingriff und zwar so schnell wie möglich, da nicht gewusst ist, wer nach Macron und Draghi kommen wird. Also Austritt der sechs Gründungsstaaten und Formulierung eines "Grundgesetzes" einer Neuen Europäischen Union innerhalb der zweijährigen Austrittsfrist.

Man wird sehen, dass den Sechsen binnen weniger Wochen etliche weitere 10-12 Staaten folgen werden. Polen, Ungarn und Slowenien werden sicher die alte EU nicht betreiben (können). Damit ergeben sich dann doch noch echte Reformlösungen ohne das ewige "Herumgeeiere" um Vertragsverletzungen.

Gert Zilm, Hamburg

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Quelle:
SZ vom 29.07.2021
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