Umverteilung:Die Politik muss Zielvorgaben machen

Bruttoinlandsprodukt (BIP)

Volle Taschen in Deutschland.

(Foto: Marc Müller/dpa)

Die reichsten zehn Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Haushalte unter der Armutsgrenze zu. Zeit zu handeln, finden Leser.

"Bundesregierung warnt vor starker Spaltung der Gesellschaft" vom 24. März und "Ach, unsere Reichen" vom 21. März sowie weitere Artikel zum Thema Reich und Arm:

Arme sollten mehr bekommen

Angesichts etwa der Kinderarmut in unserem Land wird die Höhe der Managergehälter vielfach beklagt; Moral ist gefragt, die Bundesregierung wirkt hilflos. Nun kann man den Managern weniger einen Vorwurf machen. Nicht sie, sondern die Bundespolitik ist für wirtschaftlichen Wohlstand und Gemeinwohl verantwortlich. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung macht deutlich, dass Markt und Wettbewerb weder Armut verhindern noch eine gerechte Verteilung bewirken. Hier ist die Politik gefragt.

Welche Ziele in Bezug auf Armut und Ungleichheit der Verteilung sollte die Politik verfolgen? Klar ist: Armut soll bekämpft werden. Aber die Ungleichheit in der Verteilung der Nettovermögen und des Volkseinkommens kann nicht durch Gleichheit ersetzt werden. Hier ist Zielfindung gefordert, letztlich in demokratischer Entscheidung. Ich könnte mir in einer ersten Annäherung vorstellen: Der unteren Hälfte der Haushalte sollten 30 Prozent des Nettovermögens und 35 bis 40 Prozent des Volkseinkommens zukommen. Da bliebe der Wirtschaft hinreichend Raum für leistungsgerechte Vergütung, allerdings kaum noch für die beklagten Auswüchse. Entscheidet man sich zum Beispiel für die oben angegebenen Zielsetzungen, sind aktuelle Wirtschaftsstatistik und Geduld erforderlich. Die Statistik muss der Politik helfen, damit diese möglichst aktuell erfährt, wo sie beim Abbau der Ungleichheit hin zu einer solidarischeren Gesellschaft steht. Geduld ist erforderlich, weil die Wirtschaft keine Hauruckverfahren verträgt.

Wenn die Politik sich Jahr für Jahr den Zielen um ein Prozent nähern würde, wäre das aus meiner Sicht eine gute Leistung. Die Zuwächse an Volkseinkommen und Nettovermögen müssten direkt oder indirekt der unteren Hälfte zufließen. Es bliebe aber insbesondere auch den einkommens- und vermögensstarken Haushalten Zeit zum Umdenken, denn diese wären besonders betroffen.

Dr. Werner Thomas, Waiblingen

Leben wir in einer Plutokratie?

Wenn an einer einzigen Bank Gehälter und Bonuszahlungen von "nur" noch einstelliger Millionenhöhe pro Jahr gezahlt werden, und das nicht nur für wenige Vorstandsmitglieder, sondern für 316 "Einkommensmillionäre" (2015 noch 756 Einkommensmillionäre), dann mutet der Kommentar von Marc Beise mehr als befremdlich an, dass man unseren Reichen doch ja keine höheren Steuern zumuten dürfe. "Unsere Reichen" würden ja in unseren wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in denen Kommunen Schwimmbäder und Theater aus Geldmangel schließen müssten, durch großzügige Spenden willkommenes Engagement leisten.

Meine Frage: Leben wir in einer Demokratie, wo das Volk beziehungsweise seine gewählten Vertreter über Ausgaben der Daseinsvorsorge zu entscheiden haben, oder in einer Plutokratie, wo wir von den subjektiven Vorlieben und der (längst nicht bei allen Reichen gegebenen) Spendenbereitschaft Einzelner abhängig sind? Und wenn Beise feststellt, dass große Vermögen oft durch Leistung und Eigeninitiative zustande gekommen sind, dann frage ich, ob die Leistung eines einzelnen Investmentbankers höher einzuschätzen ist als beispielsweise die Leistung der Bundeskanzlerin, die von einer Einkommensmillion weit entfernt ist.

Georg Welsch, München

Die Reichen tun viel zu wenig

Ich fürchte, der Wohltatenobulus der überwiegenden Mehrheit der Reichen dürfte ein Prozent ihres Vermögens nicht übersteigen. Aber: Stiften und Spenden, egal wie viel, ist höchst wichtig, sage ich in Dankbarkeit als Vorstand einer Sozialstiftung. Doch leben wir hier wirklich im Zeitalter, da Almosen ein Teil der "Sozialpolitik" sind? Ist es die Funktion des Reichtums, Almosen zu geben? Ist die Steuerschraube die Lösung? Ja, auch. Aber die zentrale Funktion des Reichtums, sage ich nach einem Leben in der Wirtschaft, ist doch die: mit Wissen und Risikokapital das Potenzial unserer Jugend zu fördern, die von keiner Bank Geld bekommen und die die Probleme lösen sollen, die auf uns zukommen. Entscheidende Hilfen, die der Staat aber nicht leisten kann oder soll. Nachhaltiger Wirtschaftsfortschritt ist Wohlstandsfortschritt im besten Wortsinn, und der benötigt diese Potenziale.

Hier tun "die Reichen" viel zu wenig, nach meinem Gefühl. Denkbar wäre auch, dass große Vermögen zum halben Preis eine bestimmte Zahl Aktien pro Jahr zum Erwerb anbieten, mit einer zahlenmäßigen Begrenzung der Stücke pro Erwerber. Wie bei erfolgreichen Belegschaftsaktienmodellen in Deutschland. Ein tolles Signal.

Wer bei "Arm" und "Reich" sich nicht um eine differenziertere Datenbasis bemüht, ist meines Erachtens ganz nahe am Populismus. Und solange man dem FC Bayern zujubelt und gnädig über Spieler- und Trainerhonorare hinwegsieht, Hauptsache "wir" kommen ins Champions-League-Finale, der ist bei der Kritik (ausgewählter) Managergehältern auch nicht ganz glaubwürdig.

Dr. Johannes Rauter, Germering

Diäten und unsinnige Ämter

Der Artikel von Marc Beise beschreibt die Situation in Deutschland realistisch. Wenn unsere Politiker von zusätzlicher Besteuerung der Reichen sprechen, sind vor allem die mittleren Einkommen und mittlere Vermögen gemeint. Dort wird das Geld geholt, das aber leider nicht bei den Armen ankommt. Es wird für Diäten der Politiker und für die vielen unsinnigen Ämter ausgegeben. Für notwendige Aufgaben des Staates wie Wohnungsbau, Straßenbau ist kein Geld vorhanden. Auch eine Altersvorsorge, wie von den Politikern gefordert, ist für den Normalverdiener gar nicht mehr möglich. Weil ein Sparer keine Zinsen mehr erhält und der Staat deshalb daraus keine Steuern mehr einnimmt, hat unser Finanzminister eine weitere Steuer eingeführt. Wer zum Beispiel Aktien erwirbt, wird nicht nur über die Dividende, sondern auch über eventuelle Gewinne abkassiert. Verluste ohne Gewinne hat der Anleger aber allein zu tragen. Das macht Aktienkäufe unattraktiv und verleitet Sparer dazu, in dubiose Bankanlagen anzulegen.

Das Wort "Gerechtigkeit" aus dem Mund eines Politikers ist einfach unglaubwürdig.

Rainer Hesse, München

Stiftungen und Hobbys

Klar, manche Reiche setzen ihr Geld für gute Zwecke ein (zum Beispiel die Stiftung des verstorbenen SAP-Gründers Klaus Tschira), andere dagegen fördern lediglich ihre eigenen Hobbys, wie den TSG Hoffenheim (Dietmar Hopp, ein anderer SAP-Gründer). Sollte diese Geldverteilung in einer Demokratie aber nicht in einem gesellschaftlichen Konsens bestimmt werden, statt sie den Interessen Reicher zu überlassen? Mäzene sollten selbstverständlich nicht das Land verlassen müssen. Es ist aber legitim, die Frage zu stellen, ob es in einer Demokratie wirklich erlaubt sein muss, wenn Einzelne Milliarden anhäufen, egal auf welchem Weg. Wenn man Reiche proportional wieder deutlich stärker zur Kasse bittet als die Mittelschicht, scheint mir das ein vernünftiger und sozial gerechter Vorschlag zu sein, den man nicht als Wahlkampfgetöse diskreditieren sollte.

Dr. Leonard Burtscher, Garching

Nur drei Prozent

Nie habe ich eine so danebenliegende Begründung für die Notwendigkeit großer Vermögen gelesen als im Kommentar "Ach, unsere Reichen". Da heißt es: "Sie geben Geld, wo Banken sich schwertun. Sie investieren in Kunst und Kultur und in den regionalen Standort." Wenn nur die 100 vermögendsten Hamburger drei Prozent Vermögensteuer zahlen würden, könnte Hamburg damit seinen ganzen Kulturhaushalt finanzieren. Zu dem Satz "Sie investieren in neue Unternehmen und Ideen": Glaubt jemand ernsthaft, dass Susanne Klatten 100 Millionen Euro aus sozialen und gemeinwirtschaftlichen Motiven in Start-ups investiert?

Georg Linder, München

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

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