Turmprojekt in München:Für Gutverdiener - und den Investor

Ein Architektenentwurf für das Areal um die Paketposthalle im Westen der Stadt erregt die Gemüter. Stein des Anstoßes sind zwei Türme, die Wohngebiete in den Schatten stellen.

Turmprojekt in München: Gefällt SZ-Lesern weniger als frühere Entwürfe: Der neue Plan mit Außen-Schrägaufzügen für ein 155 Meter hohes Hochhaus-Turmpaar im Münchner Westen.

Gefällt SZ-Lesern weniger als frühere Entwürfe: Der neue Plan mit Außen-Schrägaufzügen für ein 155 Meter hohes Hochhaus-Turmpaar im Münchner Westen.

(Foto: Simulation: Herzog/de Meuron)

"Eine spielerische Erscheinung", "Grenzwertig" und Kommentar "Satz mit x? Das wird nix", alle vom 9. Juni sowie "Vielleicht einfach nur ein M zu viel" vom 10. Juni:

Dreist gegen jede Ökologie

Mit der Überarbeitung des Paketposthallenprojekts und der Vorstellung in der Stadtgestaltungskommission zeigen sich Herzog und de Meuron abermals als willfährige Gewinnmaximierungsgehilfen des Investors. In Unkenntnis des Münchner Stadtgefüges wollen die Basler Architekten ein neues, angeblich bisher fehlendes urbanes Zentrum im Münchner Westen analog zum Ostbahnhof schaffen. Und das auf einem maximal bebauten Grundstück, das bewusst keinen großzügigen öffentlichen Raum vorsieht, sondern nur zur Erschließung notwendige Restflächen.

Dieser Raum soll in der Paketposthalle sein, die aber ausdrücklich bespielt beziehungsweise kuratiert werden muss, also eben kein frei nutzbarer, besonnter öffentlicher Platz für alle Bürgerinnen und Bürger ist. Ganz oben in den Türmen schaffen eine Gastronomie und ein "Stadtlabor" für dieses große Defizit auch keinen Ausgleich. Und das soll dem lebendigen Rotkreuzplatz den Rang ablaufen?

Die engen, hohen Blöcke liegen im Schatten und Windeintrag der übereinandergestapelten Wohncluster für Bestverdiener. In seiner Ausformung und Höhe fremd für München, wie der Berliner Architekt Matthias Sauerbruch anmerkte. Und ein Bauprojekt, das keinen einzigen Quadratmeter versickerungsfähigen Boden belässt, als ökologisch und nachhaltig zu verkaufen, grenzt an Dreistigkeit.

Heinz Grünberger, München

Zumutung fürs Stadtbild

Machen es offene Balkone in luftiger Höhe besser, wenn diese von niemandem über der vierten bis sechsten Etage genutzt werden können? Die Stadtgestaltungskommission und die Architekten sollten es doch zwischenzeitlich wissen: Schwabinger Tor und Ganghoferstraße beweisen doch schon in weitaus geringerer Höhe, dass der Wind allenfalls kurzfristigen Aufenthalt auf den Balkonen erlaubt. Irgendwelche Gegenstände kann man überhaupt nicht stehen lassen, weil die Winddrift sie sofort wegfegen würde. Von der Unfallgefahr im Gefahrenbereich der Türme ganz zu schweigen. Würde die Lokalbaukommission (LBK) so etwas überhaupt genehmigen können, eine Versicherung diese Risiken eindecken? Der Erstentwurf der Architekten trägt dem Rechnung, und deswegen geht der Vorwurf an die Experten vor Ort.

Das Einzige, wofür die beiden Türme taugen: Standort für Parallel-Rotoren zur Stromerzeugung. Und umweltfreundlich sind die geöffneten Fassaden mit den umlaufenden Balkonen auch nicht: Winddruck treibt unweigerlich das Wasser in die Wohnungen - mit dem Ergebnis regelmäßigen Sanierungsbedarfs an den Türen und den Fluren.

Im Allgemeinen sind Sie mit den Investoren überkritisch: Wenn Herr Büschl mit immer neuen Entwürfen die Stadtgemeinschaft unter Druck setzt, dient dies doch nur der Rechtfertigung seiner Akquise der Posthalle. Die Allgemeinheit soll den Schaden der Investorenkonzeptlosigkeit bezahlen in der Währung der baulichen Zumutung an das Stadtbild. Die beiden Schrägaufzüge dienen einzig der kommerziellen Nutzung der obersten Geschosse und konterkarieren die ursprünglich klare Linienführung; daran ändert auch ein "M" nichts.

Walter Neumeister, München

Mia san mia, geht woanders hin

Der alte Entwurf hat eine gewisse Eleganz. Die Höhe stört. Sie ist im Millionendorf München unangebracht. "Not welcome!", damit's ein jeder versteht. Der neue Entwurf: auf den ersten Blick überraschend. Dem neuen Entwurf wurden soziale Zugeständnisse angefügt: zwei Dachterrassen, öffentlich zugänglich; zahlreiche Wohnungen; Kinderspielflächen; gastronomische Angebote (Restaurant, Biergarten); Hotel; Büroflächen, vor allem auch öffentlich zugängliche Flächen im Erdgeschoss und - ganz zuoberst - in den beiden Turmspitzen. Es wird auch geworben damit, es solle "vielleicht ein Stadtmuseum entstehen". Nachgeschoben wird, der Investor wolle "sogar mehr preisgünstige Wohnungen anbieten als er laut Stadt müsse". Ja, "Bestverdiener sollen mit Geringverdienern in einem Haus leben". Auch an eine "Pflegeeinrichtung... auf dem Areal" wird gedacht. Der neue Entwurf bemüht sich also nach Kräften um eine qualitative Reproduktion unserer pluralistischen Gesellschaft; quantitativ recht unausgewogen. Klar, er will ja ordentlich daran verdienen.

Damit vollzieht sich aber immerhin eine Annäherung an das Manifest "Rettet unsere Städte jetzt!", das der damalige Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter 1994 mit sieben weiteren Oberbürgermeistern verfasst hatte. Er forderte, "eine Großstadt kann aber nicht nur Lebensraum für Wohlhabende sein". Kronawitter unterstützte auch maßgeblich das erfolgreiche Bürgerbegehren "Initiative Unser München", in dem 2004 mit 50,8 Prozent Ja-Stimmen entschieden wurde, dass vorerst in München keine Hochhäuser gebaut werden dürfen, die die Türme der Frauenkirche (99 Meter) überragen. Für seinen Einsatz für soziale Gerechtigkeit und ökologische Dimensionen der Stadtpolitik wurde Kronawitter 1993 zum Ehrenbürger der Stadt München ernannt.

Die Bewohner der nördlich und östlich an die beiden Türme angrenzenden Wohnbereiche werden bei Verwirklichung dieses Projekts im Schatten sein. Wer von "Münchner Selbstverzwergung" spricht, kennt indes den Münchner nicht: Manhattan soll in New York bleiben, und wir sind auch nicht Frankfurt. Unser Lebensgefühl muss nicht "erhöht" werden. Mia san mia; und so bleiben wir. Geht woanders hin. Wir sind Kronawitter; unser Schorsch lebt!

Michael Mieslinger Eichenau

Ein kistkastkantkubisches Spiel

Welch eine Wandlung von zwei über der Paketposthalle himmelwärts schwingenden Hochhäusern, die sich wie auf einem malerischen Turner-Gemälde in den Wolken verlieren, hin zu einem kistkastkantkubischen Stapel von -pardon: wie Paketen aus der Paketposthalle! Das darf doch nicht wahr sein! Wie schaut denn der nächste Reduktionsschritt bei einer eventuellen Realisierung aus? Werden dann willkürliche Schrägaufzüge und die wilden Fassadensprünge auf das übliche Münchner Gestaltungsmaß sich ständig wiederholender Raster reduziert werden? Bleibt da der übliche Vierkantbolzen der traurigen Art? Allüberall entstehen hochinteressante hohe Häuser, oft als Großplastiken mit eigenem künstlerischem Stil. Das sollte doch auch in München mit etwas Mut möglich sein. Man kann nur hoffen, dass Investor, Stadt und Planer samt Bürgern mit klugen Ideen in deren Köpfen die Hochhäuser nicht - nochmals pardon: auf das standardisierte Münchner Maß köpfen. Ein wenig Mut wurde hier tatsächlich anfangs gezeigt... - und dann gleich wieder eingeknickt! Wie mutig war man doch zum Beispiel anno dazumal mit dem neugotischen Rathaus anstelle alter Bürgerhäuser am Marienplatz. Heute voll nicht nur von den Touristen akzeptiert. Mit überzeugender moderner Architektur sollte das doch auch heute möglich sein. Das BMW-Haus und das Hypovereinsbank-Hochhaus haben es ja bewiesen, dass auch in München stadtprägende Merkzeichen mit gestalterischem Mut möglich sind! Das sollte doch auch hier, an der Bahnzufahrt in die Münchner Mitte, machbar sein!

Frank Becker-Nickels, München

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