Transparenz-Blog:Wie steht es um die Pressefreheit?

Pollmer Transparenzblog

Warum sich Deutschlands Ranking in der Corona-Krise verschlechtert hat. SZ-Redakteur Cornelius Pollmer über seine Erfahrungen mit Übergriffen.

Während meiner Arbeit als Korrespondent der SZ bin ich bepöbelt, geschubst und bespuckt worden, und immer wieder meißelten Zeigefinger meine Brust wie vom Wahnsinn befallene Spechte. Anders formuliert: Ich hatte riesiges Glück.

Einige Kolleginnen und Kollegen, die wie ich gelegentlich von Demonstrationen zu berichten haben, traf es härter und manchmal ziemlich zentral auf die sogenannte Zwölf. Journalisten beziehen auf Demonstrationen in Deutschland Faustschläge, sie werden durch hübsch sanierte Innenstädte gejagt, und noch viel häufiger werden sie in exakt jener ekelhaften Weise bedrängt und bedroht, die juristisch kaum zu fassen ist, aber doch viel Eindruck hinterlässt.

Es ist mehr als ein persönlicher Eindruck, dass die Berichterstattung von Demonstrationen in den vergangenen Jahren gefährlicher geworden ist. Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat jüngst gemeldet, dass Deutschland im Ranking der Pressefreiheit von Platz 11 auf Platz 13 gerutscht ist. Die Lage wurde von "gut" auf "zufriedenstellend" herabgestuft. 2020 sind demnach mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalisten gezählt worden, fünfmal so viele wie im Vorjahr. Treiber dieser Entwicklung waren Vorkommnisse bei Demonstrationen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung.

Pressefreiheit hat viele Aspekte - ein besonders wichtiger war für mich schon immer die Möglichkeit, sich im öffentlichen Raum frei und sicher zu bewegen. Diese Möglichkeit sehe ich zunehmend eingeschränkt. Das hat vorneweg natürlich mit denen zu tun, die Gewalt androhen oder ausüben. Bei den Demonstrationen gegen die Asylpolitik 2015 ff. war eine starke Verrohung zu spüren, der Trend hält bis heute. Manchmal wird mir schon auf dem Weg zur Demo flau, dann breitet sich so ein unbestimmtes Heldenplatz-Gefühl aus. Vor Ort dann wird die Bedrückung konkret. Frei nach Heiner Müller: Zehn Deutsche sind oft aggressiver als fünf Deutsche. Ich weiß, dass die Mehrheit auf fast allen Demonstrationen von zumindest äußerlich friedlichen Menschen gestellt wird. Mich beunruhigt dennoch, gerade in dämmernden Abendstunden, die Unberechenbarkeit aggressiver Kleingruppen. Mich beunruhigt auch das Klima mindestens der Duldung, in dem diese Gruppen auf großen Demonstrationen Schutz finden.

Ich will nicht anfangen, mit Blauhelm und Pfefferspray auf Demos zu gehen, zuständig für Schutz bleibt die Polizei. Sie kommt dieser Pflicht meist zuverlässig nach - manchmal aber in katastrophaler Weise nicht. Es gibt Polizisten, die Presseausweise für etwas irgendwie Ausgedachtes halten, ein Gimmick aus dem Yps-Heft vielleicht. Und Behinderungen der Arbeit durch Polizisten haben natürlich auch einen Effekt auf die Pressefreiheit. Wo ihr Sicherheitsgefühl subjektiv und objektiv sinkt, gehen und sehen Journalisten womöglich seltener hin. Wer weiß, was dann im Schatten wuchert? Demonstranten und Polizei produzieren zudem jeweils zunehmend eigene Bilder und stellen sie sofort ins Netz. Technologisch ist das ein Fortschritt. Als Journalist und Bürger frage ich mich, welche Manipulationen öffentlicher Meinung so begünstigt werden.

Im Transparenz-Blog geben wir Einblick ins Innenleben der Süddeutschen Zeitung und erklären unsere journalistische Arbeit. Die Beiträge finden sich auch unter sz.de/transparenz

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