Süddeutsche Zeitung

Tierwohl:Unwürdige Hühnermast

Eine Recherche zu Zuständen bei der Tierzucht und der Produktion von Hühnerfleisch wühlt viele auf. Zur Verantwortung der Verbraucher, die durch Kauf für die Nachfrage nach billigem weißen Fleisch sorgen, sind sich Leser uneins.

Zu "Schlachtfeld" vom 28./29. August:

Die SZ-Reportage benennt einmal mehr die schändlichen Zustände in der Massentierhaltung, um zum Schluss lakonisch zu schließen, der Markt werde eben auch durch die Nachfrage bestimmt. Dieses Argument ist so verbreitet wie falsch, kein Verbraucher möchte, dass Tiere unnötig gequält werden! Würde man, ähnlich wie bei Zigaretten, auf jeder Packung Hähnchenfleisch ein Bild aus der Haltung oder Schlachtung abdrucken, die Kunden würden ihre Präferenzen deutlicher zum Ausdruck bringen. So aber wird es dem Verbraucher leicht gemacht, seine Verantwortung zu verdrängen.

Aus dem Kundenverhalten kann aber keine moralische Legitimation für unwürdige Produktionsbedingungen abgeleitet werden. Die Hauptverantwortung für eine artgerechte Tierhaltung liegt zunächst einmal bei all jenen, die hauptamtlich in dem Bereich arbeiten, sei es in Landwirtschaft, Produktion, Handel, Behörden oder Politik. Ein jeder frage sich, zu was er beiträgt.

Dr. Raoul Schneider, Poing

Das "Schlachtfeld" bringt bares Geld. Ob Hochleistungs-Milchkuh oder Fleisch-Huhn; nur mehr Menge macht's, dass es sich auch jeder leisten kann. Das Tier ist noch immer ein industrielles Massengut. Das Tierwohl-Label ist eben kein schneller "Kassenschlager", um die Massentierhaltung endgültig zu beenden.

Thomas Bartsch-Hauschild, Hamburg

Was noch erwähnenswert ist, sind die Maschen der Konzerne, ihre Hühner zu verkaufen: Auf Geflügelmärkten werden ahnungslosen Hobbyhaltern zum Beispiel Lohmann-Hybriden aus besagtem "aberwitzig kleinen Genpool" unter wohlklingenden Bezeichnungen wie "Silberblaue Königsberger" untergejubelt - als handele es sich dabei um alte, traditionsreiche Rassen! Die Konzern-Hochleistungshühner verblüffen im ersten Jahr durch eine überragende Legeleistung, die aber massiv zu Lasten ihrer Gesundheit geht und im zweiten Jahr rapide abfällt. Gleichzeitig erleiden die Tiere oft schwere Mangelerscheinungen, weil es ihnen an Kalzium fehlt. Dieser für die Knochen so wichtige Mineralstoff wandert nämlich in die Eierschalen.

Wer seine Hybridhühner nicht schlachtet, hat trotzdem nicht lange Freude an ihnen: Selbst bei Freilandhaltung haben die Hennen eine geringe Lebenserwartung. Viele erkranken früh an den überbeanspruchten Legeorganen und vegetieren auch auf der grünen Wiese schon nach drei Jahren elendig vor sich hin. Kein Vergleich zum alten Rassehuhn, das deutlich robuster und langlebiger ist, aber durch die Hybrid-Schwemme der Geflügelkonzerne zunehmend verdrängt wird. Man muss nicht alle Ziele der traditionellen Rassegeflügelzucht befürworten - Inzucht hat es auch hier gegeben.

Heutzutage sind es traditionelle Züchter, die durch den Erhalt auch seltener Rassen genetische Vielfalt sicherstellen. Es bleibt zu hoffen, dass mit dem wachsenden Interesse, das die Hobbyhühnerhaltung erfährt, der Erhalt alter, robuster Rassen wieder stärker in den Blick rückt. Ich bin selbst Hobby-Hühnerhalter und entscheide mich nur noch für alte Rassen.

Björn-Uwe Klein, Bad Laasphe

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Quelle:
SZ vom 11.09.2021
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