TiereMalou rollt

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Sommerwanderurlaub in der Schweiz? Malou ist mit dabei. Der Rollstuhl ist damals noch ganz neu.
Sommerwanderurlaub in der Schweiz? Malou ist mit dabei. Der Rollstuhl ist damals noch ganz neu. (Foto: privat)

Einschläfern, riet der Tierarzt: Die Hinterbeine werden nie wieder was. Stimmt. Zumindest das mit den Hinterbeinen. Jetzt hat Malou einen Rollstuhl - und ist so schnell wie davor.

Von Birk Grüling

Sie kennt ihre Pappenheimer. Malou weiß genau, welche älteren Damen wie viele Streicheleinheiten verteilen - und zwischendurch Leckerlis. Kaum steckt sie ihr Köpfchen durch die Tür des Kiosks, kramt der Besitzer schon nach Würstchen. Heimspiel. Es ist ihr Viertel in Frankfurt am Main. So war es immer.

Und doch ist es jetzt anders. Das liegt nicht unbedingt an Malous braunen Knopfaugen, dem leicht zotteligen Fell und auch nicht an ihrer himbeerroten Hechelzunge. Eher an der bunten Strumpfhose, unter der sich eine kleine Hundewindel abzeichnet, und ja, klar, auch an ihrem Hunderollstuhl.

Malou sitzt im Rollstuhl. Der funktioniert wie ein Rollstuhl für Menschen. Zwei Räder übernehmen die Funktion der Hinterbeine. Malous Hintern hängt in einer Schlinge, die an der Verbindungsstange zwischen den Rädern befestigt ist. "Im Prinzip ist sie genauso schnell wie früher", meint ihr Besitzer Simon. "Sie kann mit mir spazieren gehen oder im Park mit anderen Hunden spielen. Genau wie früher."

Früher, sagt er. Er meint damit die Zeit, als Malou noch auf vier Beinen lief. Vermutlich war ein Treppensprung schuld. Keine große Sache eigentlich, von einer Stufe auf die nächste, unglücklich gelandet halt - so was kommt gerade bei kleinen Hunden schon mal vor. "Sie jaulte laut auf, fast wie ein Schrei", erzählt Simon. Dann lag sie da. Der Tierarzt diagnostizierte Bauchschmerzen und schickte sie wieder nach Hause. Doch auch in den nächsten Tagen geht es Malou nicht besser. Also zurück zum Tierarzt. Diesmal wird ihr Rücken genau untersucht. Mit einem Röntgengerät und einem Computertomografen schauen die Ärzte in den kleinen Hund hinein. Am Ende steht fest: Querschnittslähmung, Malou wird nie wieder auf vier Beinen laufen können. Der Tierarzt rät, Malou einzuschläfern. Das ist doch kein Leben...

Für die Besitzer ist das zunächst ein Schock. Doch schnell wird klar: Einschläfern - also töten - kommt nicht infrage. "Malou war nicht traurig darüber, dass sie nicht mehr richtig laufen konnte, im Gegenteil. Auf den Vorderbeinen hüpfte sie schnell wieder durch die Wohnung, wollte spielen und kuscheln wie früher."

Simon findet den "Hun'nenhoff", einen Tierschutzhof in der Nähe von Hamburg. Dort leben viele Hunde, Schafe, Katzen, Hühner und auch Pferde, um die sich niemand mehr kümmern will, die zu alt oder krank geworden sind. Und hier leben neben einem Rolli-Schaf auch über 30 Rolli-Hunde - manche groß wie ein Schäferhund, andere klein wie Malou. Um sie kümmert sich die Hundephysiotherapeutin Saskia Wicke. Sie kennt sich aus mit den Muskeln und Knochen von Hunden und hat schon einige Tiere nach Unfällen wieder zum Laufen gebracht. Bei Malou hat sie es mit Massagen und Schwimmen versucht, mit Elektrotherapie und Wärme. Alles vergeblich. Schon nach ein paar Tagen war klar, dass Malou einen Rollstuhl braucht.

Jeder Hunde-Rolli ist ein Einzelstück und kostet zwischen 300 und 700 Euro. Für Malou kommen die Rollibauer extra vorbei und vermessen sie von Kopf bis Fuß. Schließlich muss am Ende alles passen.

Die beiden Räder am Hintern findet die kleine Hündin erst einmal ziemlich komisch. Die ersten Schritte mit Rollstuhl macht sie im Rückwärtsgang, tapst dann vorsichtig nach vorn. Zum Glück gibt es auf dem Hun'nenhoff genug Spielkameraden mit Rolli, die ihr das Laufen beibringen können. Als sie nach drei Monaten von ihren Besitzern abgeholt wird, gehört die kleine Hündin zu den Schnellsten auf dem Hof. In den Rollstuhl werden die Hunde übrigens nur für Spaziergänge gesetzt. Sonst könnten sie sich gar nicht richtig ausruhen oder schlafen - und das machen sie bis zu 16 Stunden am Tag.

Und Malou ist auch ohne Rolli ziemlich flott unterwegs. Sie läuft auf den Vorderbeinen durch die Wohnung, zieht die gelähmten Hinterbeine hinter sich her. Damit ihr dabei nichts wehtut, trägt sie über der Hundewindel eine knallbunte Strumpfhose. Als Schleifschutz. Die Windel braucht sie, weil sie seit dem Unfall nicht mehr in einen Busch pinkeln oder ein Häufchen auf die Wiese machen kann. Dreimal pro Tag müssen ihre Besitzer die Windel wechseln und den Urin aus ihrer kleinen Blase drücken. Mit ein bisschen Drücken auf dem Bauch geht das schnell. Die Handgriffe haben sie bei Saskia auf dem Hun'nenhoff gelernt.

Eklig? Gar nicht, findet Simon. Ein Hundeleben? "Wir sind froh, dass es ihr wieder gut geht." Am liebsten schnarcht Malou auf dem Sofa, kaut auf ihrem Spielzeug und bettelt mit großen Augen um Futter. Dreimal am Tag wird sie in ihren Rollstuhl geschnallt, dann rollt Malou durch ihr Viertel, staubt beim Kioskbesitzer Leckerlis ab und jagt im Park einem Ball hinterher. So schnell, dass Simon fast nicht hinterherkommt. So wie früher halt. "Manchmal würde ich gern mit ihr noch mal den Tierarzt von damals besuchen. Den, der uns zum Einschläfern geraten hat."

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