Süddeutsche Zeitung

Tempolimit:Von Technik und Fahrgefühl

Kommt eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen nach der Wahl? Einige Leser könnten sich damit anfreunden, manche sähen darin eine Überregulierung und wieder andere plädieren für variable Gebote je nach Verkehrsfluss.

Zu "Brumm, brumm" vom 18./19. September:

Langsam entspannter fahren

Ein Tempolimit ist ohne Alternative. Davon bin ich, auch wegen meiner langen Fahrerfahrung, überzeugt. Wenn ein Auto mit zirka 190 km/h oder höher von hinten kommt, während ich mit 120 einen oder mehrere Lastwagen überhole, wird mir schon manches Mal mulmig. Dichtes Auffahren und Betätigen der Lichthupe kommen schon oft vor. Der Versuch, in dem Artikel auf wissenschaftlichem Weg die Frage eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen eindeutig zu lösen, ist offenbar schwer möglich. Dabei sind hunderte Tote, die nachweislich auf zu hohe (nicht angepasste) Geschwindigkeit zurückzuführen sind, einfach zu viele. Jeder einzelne ist einer zu viel.

Aber meine Überlegung ist noch eine andere. Immer wieder bin ich auch auf ausländischen Autobahnen unterwegs. Wer schon mal die Ruhe des Verkehrsflusses auf einer Autobahn eines Landes mit Geschwindigkeitslimit bemerkt hat, wird es genossen haben. Es sei denn, es war einer dieser vernunftreduzierten Bleifüße, wie sie natürlich auch in anderen Ländern vorkommen. Aber die große Mehrheit der Pkw-Lenker denkt sicher anders. Deshalb wird sich der Protest bei der Einführung eines Tempolimits in Grenzen halten.

Mario Kosche, Amberg

Appellieren statt regulieren

Es gibt keine rationalen Gründe gegen das Tempolimit. Die empirischen Erhebungen sind eindeutig und die Versuche der Gegner, dagegen Argumente zu finden, bemüht. Gleichwohl bringt ein Tempolimit vor allem Verdruss. Es raubt vielen ein gutes Gefühl, das vor allem darin besteht zu dürfen, was man in der Realität ohnedies fast nie tut. In einem überreglementierten Staat wie Deutschland gibt es einen Bereich (unbeugsame Gallier), der quasi antizyklisch nicht beschränkt zu sein scheint. Passt nicht und ist deshalb sympathisch.

Natürlich: Menschenleben, CO₂-Ausstoß und alle anderen Effekte sprechen eine deutliche Sprache. Aber würde man mit denselben Argumenten das Rauchen (140 000 Tote) oder den Alkohol (70 000 Tote pro Jahr) verbieten? An dieser Stelle müssen Appelle und Kampagnen reichen.

Stephan Kaufold, Kitzingen

Variable Limits je nach Verkehr

Ich frage mich, ob wir wirklich eine Alles-oder-nichts-Lösung brauchen. Es gäbe auch Zwischenlösungen und andere Möglichkeiten: erstens, ein Tempolimit von 150 km/h. Auch hier würden Fahrer extremer Geschwindigkeiten ausgebremst, eine Steigerung über 150 km/h bringt kaum noch Zeitgewinn bei stark steigendem Kraftstoffverbrauch, und die Akzeptanz bei Gegnern eines Tempolimits wäre mit dieser höheren Grenze besser. Zweitens sollte man verstärkt auf streckenbezogene Limits setzen, insbesondere auf unfallträchtigen und stark belasteten Strecken, etwa mit Uhrzeitbeschränkung.

Und drittens könnte man verstärkt auf Verkehrsbeeinflussungsanlagen setzen. Zwar ist dies eine sehr teure Lösung, kann jedoch situationsabhängig das richtige Limit anzeigen. So können im dichten Berufsverkehr nur 80 km/h angemessen sein, tagsüber ansonsten 130, bei Regen 100, bei Nebel 60 km/h und nachts bei klarem Wetter freie Fahrt. Auch können solche Anlagen zur Gefahrenwarnung eingesetzt werden und durch ein entsprechendes Limit gestützt werden.

Michael Oberseider, München

Gleiches Tempo ist ermüdend

Ich bin gegen ein Tempolimit 130 auf Autobahnen und werde deshalb keine Partei wählen, die dieses nach der Wahl einführen will. Ich bin während meines Berufslebens sehr oft die Strecken München - Düsseldorf, München - Berlin gefahren und habe dabei festgestellt, dass meine Ermüdung zunahm und meine Konzentration nachließ, wenn ich eine längere Strecke oder Zeit ein Tempo 120 oder 130 einhalten musste. Wenn ich jedoch zwischen Tempo 120 und 180 hin- und herwechseln konnte, wenn es die Verkehrslage zuließ, fuhr ich immer voll konzentriert. Ich bin deshalb überzeugt, dass auf unseren Autobahnen die Unfälle zunehmen werden, wenn die Autofahrer ständig das einschläfernde Tempo 130 einhalten müssten. Die meisten schweren Unfälle passieren ohnehin nicht auf unseren Autobahnen, sondern auf unseren Land- und Bundesstraßen; und für den Klimawandel sind nicht in erster Linie deutsche Autofahrer verantwortlich, sondern Länder mit großer Umweltverschmutzung wie Indien, Pakistan oder China.

Hermann Fuchs, München

Warnen statt verbieten

Mit dem allmählichen Verschwinden der Verbrennungsmotoren erledigt sich das Thema Luftqualität (Kohlendioxid CO₂, Stickoxide NOx) meines Erachtens in zehn, fünfzehn Jahren von allein. Und für die Verkehrssicherheit (Unfälle) spielen zunächst Aufmerksamkeit, Konzentration, Erfahrung der Fahrerin und der Straßen- und Verkehrszustand eine Rolle. Hier sollte erinnert werden, dass überhöhte Geschwindigkeit nicht per se Ursache für Verkehrsunfälle ist. Selbstverständlich verstärkt das Tempo die Unfallschwere.

Ein im Artikel nicht erwähntes Problem: Zur Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit beim Fahren sind dynamisch wechselnde optische Reize erforderlich; nicht von ungefähr "vibrieren" unsere Augen ständig, damit wir überhaupt sehen können. Von einer gewissen Verkehrsdichte an entstehen bei Tempolimit bald reizarme Fahrzeugkolonnen, die einschläfernd wirken: totale Unterforderung. Man stellt womöglich den Regler aufs vorgeschriebene Limit ein und denkt an etwas anderes, spielt etwa mit dem Smartphone und dem Radio. Ohnehin macht das baldige autonome Fahren auf Autobahnen ein Tempolimit doch entbehrlich.

Beim Verhalten im Verkehrsfluss hat sich eine positive Schwarmintelligenz entwickelt. So wird bei Regen oder Nebel etwa ohne besonderes Tempolimit langsamer gefahren. Die Selbstorganisation sollte der Staat fördern, indem er anstatt Tempolimits Verkehrsinformationen in Echtzeit großräumig liefert (warnen statt verbieten).

Bernard Formica, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Laster nicht überholen lassen

Was ich in dem informativen Artikel noch vermisse, ist die Frage, welche Rolle beim Schadstoffausstoß auf Autobahnen der Lastwagenverkehr spielt. Bei dem großen Anteil von Schwerlastverkehr auf unseren Straßen und vor allem Autobahnen lese ich selten von dessen Beitrag zur Luftverschmutzung. Ein von der DUH vorgeschlagenes Tempolimit von 100 km/h für Pkw würde darüber hinaus höchstens dazu führen, dass alle Pkw von Lastwagen überholt werden würden. Denn die wenigsten Lkw-Fahrer halten sich an ihre angegebenen Höchstgeschwindigkeiten. Ein Überholverbot für Lastwagen würde vor allem auf zweispurigen Autobahnen Sinn machen.

Hildegard Wojtech, Gröbenzell

Kosten vergleichen

Ein Weg wäre es, für die Emissionen und den Rohstoffverbrauch (für konventionellen wie elektrischen Antrieb), die durch die Produktion der Fahrzeuge, die Schaffung und Erhaltung der Infrastruktur und der dadurch geschädigten Natur sowie der Nutzung der Fahrzeuge entstehenden, die realen Kosten, die bisher die Allgemeinheit trägt, zu ermitteln und den Käufern und Nutzern aufzuerlegen. Dazu sollten Steuerbefreiungen beziehungsweise Pendlerpauschalen und Subventionen für die Autoindustrie abgeschafft werden. Dann würde die Gesamtrechnung,um den motorisierten Individualverkehr mit dem ÖPNV zu vergleichen, wesentlich anders aussehen. Der ÖPNV müsste dringend ausgebaut werden und der Gütertransport umgehend auf die Schiene verlagert werden.

Michael Beck, Braunschweig

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Quelle:
SZ vom 25.09.2021
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