Tempolimit:Entspannter fahren

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Trifft ein Thema einen Nerv, quellen in der SZ die Mail-Postfächer über. Die Frage nach einem Tempolimit scheint ein solches Thema zu sein. Hier eine kleine Auswahl aus den vielen Briefen, die in der Mehrheit für eine Geschwindigkeitsbegrenzung streiten.

Für viele Deutsche der Horror, woanders längst Realität: Tempolimit 130 auf Autobahnen. (Foto: Armin Weigel/dpa)

"Pro und Contra Tempolimit" mit den Artikeln " Nur vernünftig" und " Nur ein Symbol" sowie " Mal langsam" vom 22. Januar und " Das ist Wahnsinn" vom 25. Januar:

Vor dem Karren der Autolobby

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sollte zur Erweiterung seines Horizonts den Artikel "Nur vernünftig" und das Interview mit dem Vize-Bundeschef der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens, "Das ist Wahnsinn" lesen. Vielleicht kämen ihm dann Zweifel an seinem eigenen Menschenverstand. Oder will er sich mit seiner Position zum Thema Tempolimit für die Zeit nach seiner politischen Laufbahn bei der Autoindustrie als Lobbyist Pfründen sichern?

Jeder, der schon einmal auf Autobahnen in europäischen Nachbarländern, die alle ein Tempolimit haben, unterwegs war, weiß, wie entspannt es sich dort fährt. Kaum ist man wieder in Deutschland, hängt einem ein Raser mit einem Meter Abstand (gerne auch mit Lichthupe) beim Überholvorgang an der Stoßstange. Das Anrecht zu rasen mit Freiheit gleichzusetzen und damit das Leben anderer zu gefährden, ist pervers. Von einem Verkehrsminister, der nur die Interessen der Autoindustrie vertritt, kann man nicht erwarten, dass er sich gleichzeitig für die Umwelt und das Wohl der Bahnkunden einsetzt. Mit einem Tempolimit ließen sich Millionen Tonnen CO₂ einsparen.

Umso erstaunlicher ist es, dass sich Lungenfachärzte vor den Karren der Autolobbyisten spannen lassen und damit die Wirkung der schmutzigen Luft auf die Gesundheit verharmlosen. Die Arztpraxis füllt sich eben nur mit kranken Menschen.

Gertrud Winter, München

Verhätschelte Autofahrer

Der von der Bundesregierung eingesetzte Expertenzirkel hat vorab unter anderem vorgeschlagen, ein generelles Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen einzuführen, um die Klimaziele zu erreichen. Mit Verlaub, Andreas Scheuers Reaktion, das sei "gegen jeden Menschenverstand", ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit gegenüber allen Andersdenkenden. Meint der Bundesverkehrsminister wirklich, die Regierenden aller anderen zivilisierten Länder dieser Erde hätten keinen Verstand?

Es ist nur recht und billig, dass auch die in Deutschland seltsam verhätschelten Autofahrer ihren Beitrag nicht nur für diese Ziele leisten, so wie es von jedem Bürger erwartet wird. Auch Beiträge zur Erhöhung der Sicherheit und somit unmittelbar zur Rettung von Menschenleben, zur Reduzierung von Schwerverletzten sowie zur Vermeidung von stundenlangen Staus an den Unfallstellen sind fällig. Nach den Zahlen des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung sterben über acht- bis zehnmal mehr Menschen auf Autobahnstrecken ohne Tempolimit als auf Strecken mit Geschwindigkeitsbegrenzung. Das scheint sich nach den in diesen Berichten genannten neueren Zahlen nicht wesentlich verbessert zu haben.

Was liegt näher, als ab sofort als Experiment ein zunächst zeitlich begrenztes, allgemeines Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen (und wenn schon, denn schon, auch allgemein 80 Stundenkilometer auf Landstraßen, außer auf gut ausgebauten). Dann wird man in detaillierten Studien objektiv feststellen können, ob die Zweifler ("Das bringt doch nichts") recht haben. Logischerweise ist aber zu erwarten, dass es was bringt: Denn die Zerstörungsenergie nimmt bekanntlich mit dem Quadrat der Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge zu.

Dr. Sven Nissen-Meyer, Seefeld-Hechendorf

Unzivilisiert und brandgefährlich

Die Diskussion über ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen findet ihren bizarren Höhepunkt in der Äußerung eines Mannes, den man auf Druck der CSU zum Bundesverkehrsminister gemacht hat. Dieser betrachtet ein generelles Tempolimit als "gegen jeden Menschenverstand" gerichtet. Es wäre eine einfache Übung, in einer wissenschaftlichen Studie nachzuweisen, dass ein generelles Tempolimit die Zahl der Verkehrstoten erheblich reduzieren, den Verkehrsfluss fördern und den Schadstoffausstoß deutlich eindämmen würde. Man hätte eigentlich erwartet, dass schon durchschnittlich gebildete Menschen das ohne Weiteres einsehen.

Allgemeine Tempolimits bestehen seit Langem in ganz Europa, in Belgien darf man 120 und den Niederlanden 130 Stundenkilometer auf Autobahnen fahren. Ich lege die Strecke zwischen Nordbayern und Brüssel seit 17 Jahren wöchentlich zurück, komme dabei durch die Niederlande und Belgien. Staus sind auf dieser Strecke in den Niederlanden und Belgien die Ausnahme, während sie in Deutschland die Regel sind. Stress hinter dem Steuer habe ich in diesen Ländern nicht, da sich die meisten Fahrer an die Tempolimits halten.

Sobald ich die Grenze nach Deutschland passiere, häufen sich kritische Ereignisse mit Fahrern, die glauben, Tempo 200 und darüber zu fahren, sei ein Menschenrecht. Bei diesen Geschwindigkeiten wird bis auf zwei Meter Abstand aufgefahren, werden andere Verkehrsteilnehmer mit Lichthupen, von denen man kaum glauben kann, dass es legale Einrichtungen am Fahrzeug sind, von der Spur genötigt, oder es wird gleich rechts vorbeigeprescht. Sicher ist dieses Verhalten verboten, aber es wird aus praktischen Gründen kaum geahndet. All dieses unzivilisierte und brandgefährliche Verhalten könnte von heute auf morgen mit einem allgemeinen Tempolimit beseitigt werden. Kein Tempolimit zu haben, widerspricht jedem gesunden Menschenverstand.

Derselbe Minister übrigens überlegt fieberhaft, wie er in Deutschland Elektroroller, die in Brüssel an jeder Ecke stehen, und andere Elektrofahrzeuge möglichst so erfolgreich gängeln kann, dass sie möglichst wenig benutzt werden. Deutschland hätte einen Verkehrsminister verdient. Die Stelle ist materiell vakant.

Prof. Helmut Maurer, Johannesberg

Weniger Verschleiß

Michael Mertens kann man nur voll und ganz zustimmen. Einen Punkt hat er noch vergessen: Durch Staus und Geschwindigkeitsbeschränkungen wird die Durchschnittsgeschwindigkeit erheblich reduziert, und man bekommt durch Raserei nur einen marginalen Zeitgewinn, bei gleichzeitig größtem Verschleiß und Umweltverschmutzung.

Für die Gesetzgebung der Bundesregierung sollte gelten: Nur so viel Giftgas in der Atemluft, in und außerhalb von Gebäuden, wie nach maximalem technischen Aufwand nicht zu verhindern ist.

Manfred Seysen, Gräfelfing

Und billiger wäre es auch

Erstaunlicherweise kommt man heutzutage auf Strecken mit Tempolimits schneller voran als auf Strecken ohne Tempolimit! Unbestritten ist, dass eine langsamere und gleichmäßigere Fahrweise einen positiven Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz (irgendwann müssen wir ja mal mit Klimaschutz anfangen) sowie Verkehrssicherheit (weniger Verkehrstote) leistet und ein gleichmäßiger Verkehrsfluss die Fahrer und Straßen entlasten würde. Zudem würde es überhaupt nichts kosten, sondern - ganz im Gegenteil - die Autofahrer durch den geringeren Spritverbrauch finanziell entlasten. Von daher verstehe ich die aktuelle Aufregung um ein in meinen Augen völlig überfälliges Tempolimit auf deutschen Straßen überhaupt nicht.

Im vergangenen Jahr (2018) haben wir sogar schon in Deutschland die Folgen des weltweiten Klimawandels deutlich zu spüren bekommen - von daher wäre dringender Handlungsbedarf gegeben, vor allem im Hinblick auf die nächsten Generationen.

Wenn Verkehrsminister Andreas Scheuer den Pkw-Individualverkehr als Beitrag zur "Mobilität der Zukunft" bezeichnet, zeigt das nicht nur seine völlige Inkompetenz im Amt, sondern auch seine Beeinflussung durch die Autolobby. Von daher sollte er schleunigst zurücktreten und einem würdigen Nachfolger, möglichst nicht aus der CSU, Platz machen, anstatt jetzt krampfhaft irgendwelche Studien und Messergebnisse mithilfe irgendwelcher Lobbyisten anzuzweifeln. Eigentlich sollte er sich für seine öffentlichen Äußerungen in dieser Woche schämen!

Christian Müller, Brachtendorf

Der Minister hat recht

Anfang der Woche haben Sie einen Artikel gegen den Verkehrsminister und für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen veröffentlicht ("Nur vernünftig"). Die Fakten sprechen gegen Ihre Meinung, weil sich etwa zwei Drittel der tödlichen Unfälle unter dem geforderten Limit von 130 Stundenkilometern ereignen und damit die Regelung nutzlos ist. Vor wenigen Monaten hat sich nahe Dortmund ein Unfall mit zwei Toten ereignet, bei dem ein Wagen mit nur 80 Stundenkilometern auf einen Lkw aufgefahren ist. Verbotslobbyismus ist zwar stark verbreitet, hilft aber nicht, den Verkehr sicherer zu machen. Diesmal hat (ausnahmsweise) nicht die SZ recht, sondern der Minister, den sie hier zu Unrecht als unfähig darstellen.

Manfred Sauer, Dortmund

Gefühlsebene

Die vehement vorgebrachte Ablehnung eines Tempolimits erinnert frappierend an die Debatte um die laxen Waffengesetze in den USA. Sachlich sprechen alle Fakten für ein Tempolimit, aber die Befürworter des Status Qquo argumentieren auf einer kulturellen Gefühlsebene. In diesem Sinne muss man Andreas Scheuers Wortmeldungen eher mit den Aussagen von Vertretern der National Rifles Association vergleichen und einordnen.

Moritz Mühlenhoff, Bremen

Schlaf am Steuer

Ich lebe seit Jahrzehnten auch in Frankreich. Die Hauptursache für Unfälle auf den Autobahnen in Frankreich ist der Kurzzeitschlaf! Wechselnde Geschwindigkeiten halten wach, das ist eine altbekannte Tatsache. Monotonie kann daher tödlich sein. Um von München nach Frankfurt zu kommen, erreicht man nicht einmal einen Schnitt von 100 Stundenkilometer. Eine bessere Lösung wäre, einen Teil der Lkw-Massen auf die Schiene zu bekommen. Ob das die DB-"Reformen" aber je schaffen?

Steffen Wurzler, Unterhaching

© SZ vom 31.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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