SZ Werkstatt:Wieso berichten Sie wenig über Aktivisten?

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Redakteurin Jana Stegemann über die Auswahl von Fällen in der Prozess-Berichterstattung.

Die SZ berichtet über Aktivisten, die sich bei Castor-Transporten anketten, Tagebau-Bagger besetzen, Kraftwerke stilllegen und Autobahnen blockieren. Doch mit der polizeilichen "Feststellung der Personalien" hört die Berichterstattung auf. Warum erfahren Leser nichts über die Folgen für die selbsternannten Kämpfer für eine vermeintlich gute Sache?

Achim Stephan, Bielefeld

Lieber Herr Stephan, dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zum einen werden die meisten der Aktivisten nicht angeklagt. Das heißt, es kommt in einem Gros der Fälle nicht zu einem Prozess, an dem wir als Gerichtsreporterinnen teilnehmen können. Wenn es doch mal vors Amtsgericht geht, ist so ein Fall meist schnell "durchverhandelt", weil es in den Verfahren ja um die individuelle Schuld des Angeklagten geht - nicht um das, was die Aktivisten zusammen veranstaltet haben.

Für Gerichtsreportagen suchen wir die Fälle aus, die einen größeren Zusammenhang veranschaulichen oder erklären. An jedem Wochentag werden an deutschen Gerichten Tausende Verhandlungen geführt. Um nur mal eine Zahl aus meinem Berichtsgebiet zu nennen: 2019 wurden an NRW-Gerichten 443 Männer und neun Frauen wegen Erwerb, Besitz und der Verbreitung kinderpornografischer Schriften verurteilt. Ein wichtiges Thema, da werden Sie sicher zustimmen. Trotzdem war ich als NRW-Korrespondentin bei keinem dieser 452 Prozesse. Dafür aber an fast jedem Prozesstag im Lügde-Verfahren, wo es um massenhaft sexuellen Missbrauch von Kindern auf einem Campingplatz ging. Daran sehen Sie, dass wir priorisieren müssen, und Verfahren auswählen, die eine wichtige gesellschaftliche Signalwirkung haben.

2019 gab es so einen Prozess am Landgericht Köln, in dem es um eine 19-jährige Aktivistin aus dem Hambacher Wald ging, die bei einer Räumung erheblichen Widerstand geleistet und nach dem Gesicht eines Polizisten getreten hatte. "Eule" nannte sich die Frau, sie verschwieg in U-Haft und auch vor Gericht ihren richtigen Namen, das machen viele Aktivisten. "Eule" wurde schuldig gesprochen - unter richtigem Namen. Darüber haben wir exemplarisch berichtet. jana

(Foto: N/A)
© SZ vom 02.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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