SZ Werkstatt:Wie es ist, durch Journalismus den Sturz einer Person auszulösen

Leila Al-Serori war Teil des Investigativteams zur Ibiza-Affäre, die zum Rücktritt von Österreichs Vize-Kanzler führte.

Von Leila Al-Serori

Wie fühlt es sich an, einen Artikel veröffentlicht zu haben, der zum Sturz einer mächtigen Person führte?

Sebastian Emehrer, Dorfen

Ein paar Minuten waren nur vergangen, nachdem wir das Ibiza-Video und unsere Recherchen am 17. Mai 2019 veröffentlicht hatten, als die Telefone anfingen zu läuten. Viele wollten wissen, was wir da für eine Geschichte zugespielt bekommen hatten - und natürlich: Ob Heinz-Christian Strache, damaliger Vize-Kanzler Österreichs und Hauptdarsteller auf Ibiza, wohl zurücktreten würde. Am nächsten Morgen setzte ich mich in den Zug von München nach Wien. Eine Pressekonferenz Straches war angesagt, vor dem Bundeskanzleramt gruppierten sich erste Demonstranten und forderten Neuwahlen. Gegen Mittag trat Strache mit Tränen in den Augen vor die Kameras und gab seinen Rücktritt bekannt.

Mit den Worten "Genug ist genug" löste einige Stunden später Kanzler Sebastian Kurz die Koalition mit der FPÖ auf und rief Neuwahlen aus. Die Demonstranten fingen an zu feiern und "We're going to Ibiza" zu singen. Mein SZ-Kollege Peter Münch und ich standen mit anderen Journalisten auf der anderen Seite der Absperrung und beobachten ungläubig den Aufruhr, den wir durch unsere Arbeit mitausgelöst hatten.

Dann hielt der österreichische Bundespräsident eine Ansprache in einem prunkvollen Saal der Wiener Hofburg ab. Wir standen einige Meter entfernt von Alexander Van der Bellen und schrieben seine Worte auf die Notizblöcke, als er plötzlich der Presse dankte, die alles aufgedeckt hatte. Die vierte Gewalt habe ihre Aufgabe voll wahrgenommen, sagte der Präsident und der halbe Raum blickte nun in unsere Richtung und nickte uns zu. Ein fast schon surrealer Moment.

In den Monaten darauf folgte auch Kritik: Warum hat sich eine deutsche Zeitung in österreichische Angelegenheiten eingemischt? Hat die Presse mit dem Zerfall der Regierung nicht zu viel ausgelöst? Wir im SZ-Rechercheteam waren uns dieser Verantwortung bewusst. Auch deshalb haben wir vor der Veröffentlichung jeden Fakt mehrfach geprüft und haben aus medienrechtlichen Gründen nur die Ausschnitte aus dem Video publiziert, die von höchstem öffentlichem Interesse sind. Wir haben alle Informationen gesammelt, sie verifiziert und veröffentlicht - dann war es an der Öffentlichkeit, sich eine Meinung zu bilden. Und an den Politikern und Institutionen, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Natürlich ist es für uns Journalisten ein schönes Gefühl, wenn wir mit unserer Arbeit etwas bewegen können. Aber anders als es oft gesagt wird, haben nicht wir von der SZ Heinz-Christian Strache gestürzt - das war er schon ganz alleine.

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