Süddeutsche Zeitung

SZ-Werkstatt:Wenn das Maß voll ist

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Detlef Esslinger, leitender Politikredakteur, findet, dass Journalisten Beschimpfungen grundsätzlich aushalten müssen. In zwei Fällen ging es ihm aber dann selbst zu weit. Er hat Strafantrag gestellt - und die Justiz gab ihm Recht.

Journalisten müssen aushalten können, was einem manche Leute so schreiben; oder sie sollten das Kommentieren sein lassen. Erst am Donnerstag wieder beschimpfte mich ein Leser als "Sprachrohr von Erich Merkel"; sein Ausdruck dafür, dass er zwischen einem DDR-Staatsratsvorsitzenden und einer Bundeskanzlerin wenig Unterschied macht. Anlass war, dass ihm mein Kommentar zum Mordanschlag von Halle nicht gefallen hatte. Geschenkt.

Wogegen jedoch muss man sich wehren - weil einem daran liegt, dass der Diskurs ein Mindestniveau hält, sowie aus Selbstachtung? Und auf wen kann man zählen? Renate Künast, die Grünen-Politikerin, wollte nicht hinnehmen, als "Stück Scheiße" tituliert zu werden, aufs Berliner Landgericht konnte sie bekanntlich nicht zählen. Nachdem ich vor einem Jahr AfD-Politiker mit den Brandstiftern in Max Frischs Bühnenstück "Biedermann und die Brandstifter" verglichen hatte, schrieb mir einer: "Ich wünsche Dir ein baldiges und schmerzhaftes Ende!" Ein anderer: "Geschmierter Lügenpresse-Schmierfink! Lügenpresse, halt die Fresse!" Für diese beiden stellte ich die ersten Strafanträge meines Lebens. Nun teilte mir die Staatsanwaltschaft München I mit, dass die Strafbefehle gegen sie rechtskräftig sind: 30 Tagessätze zu 40 Euro für den einen, 60 Tagessätze zu 15 Euro für den anderen. Zudem gibt es in mehreren Ländern Initiativen von Strafverfolgern und Medienanstalten, wie sich die Ahndung von Beleidigung erleichtern lässt. Das Landgericht Berlin mit seiner Künast-Entscheidung ist also offenbar nicht stilprägend.

Mitunter indes lohnt der Versuch, jemanden zurückzuholen in den Diskurs. Einer äußerte mal, per Mail um 0.32 Uhr, jede Zeile bei mir "stinkt nach links-versiffter antideutscher Lügen-Scheiße". Ich antwortete, er schramme an der Grenze zur Beleidigung; ob er sein Geld nicht lieber anders ausgeben wolle? Antwort: "Das Ganze ist mir sehr peinlich - tut mir sehr leid. Man sollte in betrunkenem Zustand einfach keine Mails verfassen. Ich versuche, mich zu bessern. Einen hoffentlich trotzdem noch schönen Tag."

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Quelle:
SZ vom 12.10.2019
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