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SZ Werkstatt:Wann werden Namen in Prozessen genannt?

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Wolfgang Janisch, Justiz- Berichterstatter in Karlsruhe, über die unbedingte Unschuldsvermutung und die besonderen Regeln zur Namensnennung Beschuldigter und Angeklagter.

Von Wolfgang Janisch

Nach welchen Kriterien entscheidet die SZ, ob bei der Justizberichterstattung die Namen von Beschuldigten oder Angeklagten vollständig genannt werden?

Lena Brosius, München, und Engelbert von Berg, Gangelt

Wer die Berichterstattung der SZ über Strafprozesse verfolgt, stolpert immer wieder über Großbuchstaben mit Punkt. Angeklagt ist dann zum Beispiel Jörg L. oder Holger G. oder Stephan E. Der Nachname wird abgekürzt, obwohl diesen Menschen schlimme Straftaten vorgeworfen werden - sexueller Missbrauch, Unterstützung einer Terrorzelle, sogar Mord.

Hinter der Zurückhaltung steht der Gedanke der Unschuldsvermutung: Wer nicht rechtskräftig verurteilt ist, hat als unschuldig zu gelten. Das heißt natürlich nicht, dass Angeklagte für die Medien bis zum Ende des Prozesses tabu wären - im Gegenteil. "Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Presse ist", hat das Bundesverfassungsgericht 2009 entschieden. "Bei schweren Gewaltverbrechen ist daher ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Informationsinteresse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des Täters und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen." Informationsinteresse heißt nicht zwingend Namensnennung - auch das hat das Gericht damals entschieden.

Bei kleinen Delikten gilt Zurückhaltung, ebenso, wenn es um jugendliche Täter geht. Ansonsten ist ausschlaggebend, wie schwerwiegend die Straftat ist, aber auch, wie sehr sich der Vorwurf verfestigt hat. Strafverfahren bewegen sich da auf einer ansteigenden Kurve: Mit dem Anfangsverdacht beginnen die Ermittlungen, der Haftbefehl erfordert einen dringenden Tatverdacht, Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens sind weitere Zäsuren. Doch auch in dieser Phase nennt man den vollen Namen nur in Ausnahmefällen. "Bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch wird insoweit oftmals das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen", so das Verfassungsgericht. Eine Regel, die Ausnahmen kennt, bei prominenten Beschuldigten oder Angeklagten wie Martin Winterkorn oder anderen Konzernchefs, die öffentlich agieren. Oder bei solchen Personen, die sich selbst der Öffentlichkeit präsentieren. Und eben bei besonders gravierenden Verbrechen. Das gilt aber nicht für die Ewigkeit, auch das hat das Verfassungsgericht entschieden: Je länger die Tat zurückliegt, desto stärker wird der Schutz des Betroffenen, nicht immer wieder aufs Neue mit seinen Verfehlungen konfrontiert zu werden. jan

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Quelle:
SZ vom 28.10.2020
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