Süddeutsche Zeitung

SZ-Werkstatt:Thomas Kirchner

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Der Korrespondent in Brüssel geht eher selten zur täglichen Pressekonferenz der EU-Kommission - und er sagt auch, warum.

Der typische Tag des Korrespondenten in Brüssel ist simpel strukturiert: morgens Leute treffen und telefonieren, nachmittags schreiben. Und dazwischen? Da gibt es, theoretisch, einen weiteren fixen Programmpunkt: die Pressekonferenz der EU-Kommission, Midday genannt. Tagein und tagaus. Der Drang, nicht hinzugehen, ist enorm hoch. Zum einen läuft die Veranstaltung seit ein paar Jahren live im Internet und wird anschließend, in einzelne Fragen und Antworten gestückelt, bestens archiviert. Und zweitens gehört es zum guten Ton im Europaviertel, über die absolute Nichtsnutzigkeit dieser Veranstaltung zu schimpfen, was damit zu tun hat, dass sie meist wenig bringt für die Arbeit und viel Zeit kostet.

Aber manchmal geht man eben doch hin. Holt sich einen Espresso an der Bar (für exakt 1,03 Euro), trifft Kollegen, hört Tratsch und andere interessante Dinge, schleppt sich dann in den Pressesaal, wo eigentlich um zwölf Uhr, aus irgendeinem Grund aber meist um 12.06 Uhr oder 12.07 Uhr, der Chefsprecher der Kommission oder einer seiner Stellvertreter die Show mit "Ankündigungen" zur segensreichen Tätigkeit der Kommissare eröffnet. Danach können Fragen gestellt werden, im Prinzip zu allem und jedem. Man spricht, das hat sich so eingebürgert, Französisch oder Englisch; bei komplizierteren Themen werden Fachsprecher auf die Bühne gebeten, bewaffnet mit dicken Mappen. Das Ganze könnte ein Musterbeispiel für Transparenz sein, wenn den Antwortenden nur daran gelegen wäre, etwas Substantielles zu sagen. Viel wichtiger ist ihnen aber, sich nicht aufs Glatteis locken zu lassen. Deshalb verlesen sie am liebsten vorgestanzte Antworten, zitieren aus Reden des Kommissionspräsidenten oder flüchten sich in Floskeln, ins wortreiche Nichts. Und leider kommen sie damit meistens durch.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2017
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