Süddeutsche Zeitung

SZ-Werkstatt:Schutz als Daueraufgabe

Innenpolitik-Redakteur Ronen Steinke ist der Meinung, dass - mit Blick auf den Anschlag auf die Synagoge in Halle - ausschließlich der Staat die Aufgabe hat, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen.

Von Ronen Steinke

Die 51 Jüdinnen und Juden, die an Jom Kippur in der Synagoge von Halle waren, verdanken ihr Leben einem starken Stück Holz. Einer Tür aus Eiche. Sie hat den Attentäter aufgehalten. Nach dem Anschlag haben mein Kollege Georg Mascolo und ich die Geschichte dahinter recherchiert, kürzlich konnten Sie das Ergebnis auf Seite Drei lesen: Um diese Tür zu bekommen, die den Menschen das Leben gerettet hat, mussten sich die Gemeindemitglieder an das Ausland wenden, an die Spender der Jewish Agency. Denn der deutsche Staat wollte ihnen das nicht finanzieren. Schönen Dank auch. So sehe ich das. Der Fall offenbart eine Gleichgültigkeit der Behörden in Sachsen-Anhalt, die schwer zu begreifen ist.

Viele Leserinnen und Leser haben uns seither geschrieben, einige von ihnen mit einem konkreten Vorschlag. "Eine gute Reaktion wäre m.E. eine Spendenaktion", schrieb uns beispielsweise Gerhard P. aus Jena: "Ich denke, die Bürger dieses Landes sollten aufgerufen werden, für Sicherheitseinrichtungen an Synagogen zu spenden. Das könnte eine eindrucksvolle Botschaft an die jüdischen Mitbürger werden, dass wir es zu schätzen wissen, sie unter uns zu haben."

Mich freut das. Dieser Impuls ist solidarisch, und er ist zupackend. Trotzdem denke ich, dass man damit das Falsche täte. Der Schutz von Leib und Leben ist vielleicht der wichtigste Zweck, weshalb wir uns einen Staat, seine Organe, die Verwaltung und auch die Polizei leisten. Wenn wir als Gesellschaft trotzdem den Schutz einer einzelnen Gruppe wieder privat organisierten, dann würden wir den Staat aus dieser Verantwortung entlassen - anstatt alle Energie darauf zu richten, dass er seiner Aufgabe nachkommt.

Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Halle übrigens hat nach dem Anschlag alle Spendenangebote abgelehnt. Man solle lieber für die Familie der ermordeten 40-jährigen Passantin spenden, sagte er, oder für den jungen Mann im Dönerladen. Der Schutz der Synagoge ist kein einmaliges Ereignis, sondern eine Daueraufgabe. Und über diese will er jetzt mit dem Innenministerium von Sachsen-Anhalt sprechen.

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Quelle:
SZ vom 30.11.2019
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