SZ-Werkstatt:Nahost in Berlin

Menschen treffen, ihr Umfeld live erleben, das ist für Reporter selten in Corona-Zeiten. Politik-Redakteur Moritz Baumstieger erklärt, wie sich jetzt langfristige Recherchen auszahlen und warum Nahost-Reports auch in Deutschland spielen können.

Moritz Baumstieger

Moritz Baumstieger berichtet für die Politikredaktion der SZ vor allem über Nahost, auch über den Krieg in Syrien - und aktuell über einen Prozess, der deswegen in Deutschland stattfindet.

Der sonst stets überfüllte Sprinter-ICE von München nach Berlin war bereits verdächtig leer, nach dem Händeschütteln zur Begrüßung hielten die Reporter und der Protagonist kurz inne: War das jetzt so schlau? Das Treffen mit Hussein Ghrer, der als Zeuge im weltweit ersten Prozess gegen zwei der Folter verdächtige Mitglieder des syrischen Geheimdienstes aussagen wird, fand am 9. März in Berlin statt. Es war das letzte einer langen Recherche - seit Spätsommer 2019 hatte die SZ für eine große Reportage im Buch Zwei an diesem Wochenende Menschen getroffen, die in den historischen Prozess gegen die mutmaßlichen Folterer Anwar R. und Eayd A. involviert sind: als Ankläger bei der Bundesanwaltschaft, als Angehörige eines der Täter in Zweibrücken, als Zeugen, als Privatermittler an einem geheimen Ort in Westeuropa.

Die Geschichten, die unsere Interviewpartner erzählten, waren zum Teil außergewöhnlich. Die Umstände, unter denen die Recherche lief, hingegen ganz normal: Leute finden, hinfahren, Leute treffen. Hände schütteln, zuhören, nachfragen - Reporterroutine.

Heute scheint dies alles sehr weit weg zu sein. Wenige Tage nach dem Termin in Berlin traten in Deutschland Kontaktbeschränkungen in Kraft, Treffen zu Interviews sind kaum mehr möglich, Reisen ins Ausland im Prinzip gar nicht. Telefongespräche, Videoschalten müssen den persönlichen Kontakt vorerst ersetzen. Wie wichtig der jedoch ist, zeigte sich vor allem bei den Treffen mit den syrischen Protagonisten: Gespräche, die teils in einem Mix aus Deutsch, Englisch, Arabisch und Zeichensprache geführt und mit Handyfotos und -videos unterstützt werden, sind wohl selbst mit der stabilsten Internetverbindung schwer durchführbar.

Trotz aller Corona-bedingten Schwierigkeiten will das Oberlandesgericht Koblenz den Prozess übrigens wie geplant am 23. April eröffnen. Das Gericht zieht in einen größeren Saal um, die Zahl der zugelassenen Zuschauer wird stark verringert. Ob unter ihnen auch ein SZ-Reporter auf einer ersten Post-Corona-Dienstreise sein kann, muss kurzfristig entschieden werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: