SZ-Werkstatt:Musk-Theater

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Joachim Becker schreibt seit 2004 über Mobilität in der SZ. Für Klimaschutz und Digitalisierung interessiert er sich mehr, rasende Blechkisten hält er für eine aussterbende Art. Sein Glück: Alle drei Themen haben miteinander zu tun. (Foto: SZ)

Joachim Becker, Experte für Mobilitätsthemen bei der SZ, über die Tesla-Visionen eines Quereinsteigers und die Verbindung zur Tragödie.

Auch Visionäre werden alt. Als Elon Musk Anfang der Woche der Weltöffentlichkeit seinen Traum vom autonomen Fahren präsentierte, wirkte er genau so: ein bisschen verträumt, um nicht zu sagen: verpeilt. Der 47-jährige Tesla-Chef hat in letzter Zeit wenig geschlafen, weil er der Welt beweisen wollte, dass er Elektroautos in Großserie bauen kann. Zeitweise lebte er mit seinem Schlafsack am Ende des Fließbands, um die Qualität persönlich unter die Lupe zu nehmen. Aber das ist nur ein Aspekt einer schillernden Persönlichkeit, die ich seit zehn Jahren mit Staunen verfolge.

Musk ist scheinbar ganz anders als alle Automanager, die ich sonst treffe. Der Physiker schmiss sein Promotionsstudium an der elitären Stanford Universität, um das Online-Bezahlsystem Paypal zu entwickeln. Mit diesem Geld begann er, die Autowelt aufzumischen. Der Mann lebt weniger in aktuellen Geschäftszahlen, sondern eher ein paar Jahre voraus. In diesem Sinne ist der Serienunternehmer ein typisches Gewächs des Silicon Valley. Mit dem autonomen Fahren kehrt der Software-Spezialist Musk auf sein ureigenstes Terrain zurück. Und er wusste immer schon die Sprengkraft einer guten Idee zu nutzen.

In Deutschland wirken Robotertaxis dagegen wie aus einer anderen Welt. Weil sie mehr mit künstlicher Intelligenz als mit Maschinenbau zu tun haben. Dabei gebärdet sich Musk nicht gerade vertrauensbildend: Kichernd, stotternd und grimassierend raunt er von den letzten Dingen in der Automobilindustrie.

Mit solchen Figuren kenne ich mich aus, ich habe mal über Avantgarde-Theater promoviert. Seit der Jahrtausendwende begleite ich die kleinen und großen Dramen einer Traditionsbranche, die in zehn Jahren eine komplett andere sein wird. Musk ist dort beileibe nicht der einzige Selbstdarsteller. Als Quereinsteiger, närrischer Visionär und Hasardeur hält er sich bloß nicht an die Spielregeln.

Tragödien haben mit Verblendung und dem Sturz der Mächtigen zu tun. In dieser Hinsicht kann es die deutsche Autoindustrie mit jedem Bühnenklassiker aufnehmen - selbst mit Elon Musk.

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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