Süddeutsche Zeitung

SZ-Werkstatt:Mit Atemschutz auf Recherche

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China-Korrespondent Christoph Giesen über Hongkonger Verhältnisse und das schwindende Vertrauen.

Alles ist jetzt anders in Hongkong: Termin bei der Regierungschefin vor ein paar Tagen, kaum ein Journalist, der nicht einen Rucksack mit ins Chief Executive Office gebracht hat, darin, was man so braucht als Reporter: Laptop, Smartphone und Notizbuch - klar. Doch auch eine Atemschutzmaske gegen das Tränengas, ein Helm, falls wieder Gummigeschosse fliegen, und eine gelbe Warnweste, auf der "Presse" steht, gehören inzwischen ganz genauso zur Standardausrüstung. Das einst so friedliche Hongkong ist unberechenbar geworden. Ständig neue Demonstrationen und eine oft heillos überforderte Polizei, die sich nur mit Gewalt zu helfen weiß. Am besten bestellt man die Ausrüstung online, in den USA oder in Südkorea, in Hongkong selbst ist fast alles ausverkauft.

Und noch etwas anderes hat sich dramatisch verändert. Kaum jemand äußert sich noch offen, will seinen Namen nennen. Ein Gesprächspartner erscheint zum Interview mit blauem Mundschutz, wie im Krankenhaus auf der Quarantänestation. Vor wenigen Monaten noch hätte man sich gefragt, ob es vielleicht ein übervorsichtiger japanischer Tourist ist, der niemanden mit seinem Schnupfen anstecken möchte. Heute aber ist es fast normal, am helllichten Tag mitten in Hongkong eine Maske zu tragen, ja selbst bei Pressekonferenzen.

Union Building vergangene Woche in der Hongkonger Universität. Ein paar Klappstühle sind aufgebaut, die voll aufgedrehte Klimaanlage des benachbarten Cafés lässt einen frösteln. Sie erscheinen zu dritt in schwarzer Montur: Sonnenbrille, Maske, Helm. Es gebe keine Anführer mehr, niemand steche heraus, es sei eine anonyme Masse, die in Hongkong auf die Straße gehe. "Man kann uns nicht stoppen", sagt einer der drei. Zur Presse spricht er, weil er einen freien Tag hat und sowohl auf Kantonesisch, Hochchinesisch und Englisch antworten kann. Per Skype haben sie das alles vorher geübt. Dabei waren sie gleichfalls vermummt, man weiß ja nie. Selbst untereinander kennen sie ihre richtigen Namen nicht. Niemand traut niemandem mehr in Hongkong.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2019
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