SZ-Werkstatt:Land in Troubles

Was bedeutet der Brexit für Nordirland? Als Cathrin Kahlweit, die London-Korrespondentin der SZ, in Nordirland recherchierte, fühlte sie sich wie in einem vergessenen Landstrich - dem großes Ungemach bevorsteht.

Von Cathrin Kahlweit

Irland ist eine wunderschöne Insel: grüne Hügel, weiße Zäune, alte Bauernhöfe, schmale Straßen, gesäumt von hohen Hecken. Ein perfektes Urlaubsland. Aber die Reise durch Nordirland, die ich jetzt unternommen habe, war ein Trip in die Vergangenheit einer Gesellschaft, die 30 Jahre lang im Krieg mit sich selbst war und sich davon bis heute nicht erholt hat. Für EU-Touristen, aber auch für die Briten auf der großen Insel nebenan liegen die Zeiten der "Troubles" schon so lange zurück, dass sich niemand vorstellen kann, wie lebendig das alles hier immer noch ist. "Für die Briten sind wir doch nur komische Irre in einem kleinen, armen Landstrich, die sich nach wie vor die Köpfe einhauen; sie interessieren sich nicht für uns", sagte mir ein Gesprächspartner.

Aber: Mit dem bevorstehenden Brexit reden plötzlich alle über Irland, an einer Lösung für Irland hängt der EU-Austritt. Die Nordiren selbst betrachten sich als "Kollateralschaden" der großen Politik; das Wort "Kollateralschaden" benutzte wirklich jeder, den ich getroffen habe. Die meisten von ihnen sind gegen den Brexit; sie haben derzeit das Gefühl, sie werden auf dem Altar der großen Politik regelrecht geopfert. Niemals in den vergangenen 20 Jahren, seit das Karfreitagsabkommen geschlossen wurde, hat es so viele politische Diskussionen, so viel ziviles Engagement gegeben. Allein in den Tagen vor dem EU-Gipfel in Brüssel gab es Dutzende, ja Hunderte Veranstaltungen, Demonstrationen, Protestmärsche. Brexit-Gegner haben Plakate aufgestellt, nordirische Lokalpolitiker sind nach London geflogen, Aktivisten nach Brüssel.

56 Prozent der Nordiren hatten vor zwei Jahren Nein zum EU-Austritt gesagt, laut Umfragen sind es mittlerweile mehr als 70 Prozent. Es dürfte derzeit nirgendwo mehr Europafans geben als in Nordirland. Nun trauern sie im Voraus um einen großen Verlust.

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