Süddeutsche Zeitung

SZ-Werkstatt:In Bus und Bar

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SZ-Reporter Holger Gertz hat schon einige sportliche Großereignisse journalistisch begleitet. Derzeit berichtet er aus Frankreich von der EM. Dort herrschen strengste Sicherheitsvorkehrungen. Doch was hilft's?

Olympia in Sydney 2000 war die erste Großveranstaltung, von der ich berichtet habe. Im Quartier, das ich mit den Kollegen von der Sportredaktion bezogen hatte, hing ein Zettel, auf dem vor wilden Tieren gewarnt wurde, neben dem Foto der giftigen Trichternetzspinne stand, die Männchen kämen nachts bei der Paarungssuche in die Häuser. Wir waren also auf Besuch vorbereitet. Aber nicht mal die Spinne kam. Es waren entspanntere Zeiten.

Seit 9/11 ist auch bei Großveranstaltungen vieles anders. Bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City 2002 lagen die Scharfschützen auf dem gegenüberliegenden Stadiondach. Wenn ein Attentat in zeitlicher und räumlicher Nähe geschehen ist, wird die Frage nach der Sicherheit noch nachdrücklicher gestellt, auch jetzt wieder bei der Fußball-EM in Frankreich, gut ein halbes Jahr nach den Anschlägen des IS in Paris. Wie geht man vor Ort damit um?

Ich mag es nicht, wenn Reporter, die zu einer EM oder zu Olympia fahren, so tun, als zögen sie in den Krieg. Das ist wichtigtuerisch und sensationslüstern. Was also mache ich anders als damals in Sydney? Ich nehme den Bus wie damals - ich kann die Strecken ja schlecht laufen. Ich gehe ins Stadion, weil ich dort arbeiten muss. Ich sitze abends in der Bar, weil zu einer EM immer viele Menschen kommen, die man kennt - und einige, mit denen ich tatsächlich gern in der Bar sitze. Ich schaue die fremden Leute am Gare du Nord vielleicht aufmerksamer an, als ich es früher getan hätte. Aber auch das gibt sich, und das geht nicht nur mir so. Nach ein paar Tagen lebt man im Rhythmus von Paris, so wie man damals im Rhythmus Sydneys gelebt hat. Man vertraut den Sicherheitsmaßnahmen. Vor allem vertraut man den Menschen. Anders geht es nicht.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2016
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