SZ-Werkstatt:Im Gericht

Nils Wischmeyer

Nils Wischmeyer, Jahrgang 1995, ist seit 2017 Reporter für die SZ, zunächst von München aus, nun mit Standort Köln. Er beschäftigt sich am liebsten mit Finanzthemen und großen wie kleinen Fintechs und Banken.

(Foto: privat)

Seit September verfolgt Nils Wischmeyer in Bonn den ersten Strafprozess in Deutschlands größtem Steuerskandal, den sogenannten Cum-Ex-Geschäften. An fast jedem Prozesstag.

Am Ende ist die Arbeit als Reporter am Gericht vor allen Dingen von Geduld geprägt. Die meiste Zeit sitze ich hinter einer Absperrung, protokolliere und rede in den Pausen mit den Beteiligten. Wie haben sie es gesehen, und was habe ich übersehen? Was sagen die Verteidiger, und was sagt das über ihre Strategie, wie verhalten sich die Angeklagten? Was fragt die Staatsanwaltschaft? Manchmal sind die Aussagen berichtenswert, ein anderes Mal bringt ein Gespräch am Rande der Mittagspause den entscheidenden Hinweis für eine große Geschichte.

Seit Anfang September läuft in Bonn der erste Strafprozess in Deutschlands größtem Steuerskandal, den sogenannten Cum-Ex-Geschäften. Die SZ begleitet das Verfahren, so eng es nur eben geht. Angeklagt sind dort zwei britische Aktienhändler. Sie müssen sich in 33 Fällen wegen schwerer Steuerhinterziehung verantworten, in einem weiteren Fall soll es beim Versuch geblieben sein. Doch nicht nur sie sind im Gericht, sondern auch acht bis zehn Vertreter von fünf Banken und Investmentgesellschaften, die möglicherweise Geld an die Staatskasse zurückzahlen müssen. Es sind viele Menschen dort, mit denen ich zwischendurch reden kann und muss. Jede Perspektive ist wichtig.

Da es der erste Prozess dieser Art ist, hat sein Verlauf und Urteil Symbolwirkung für Hunderte weitere Beschuldigte. Die SZ war an fast allen Verhandlungstagen im Gericht und wird das bis zur Urteilsverkündung 2020 auch weiterhin sein. Anfangs noch taten es uns viele Kollegen gleich, der Saal in Bonn war prall gefüllt. Mit der Zeit aber leeren sich in solchen Prozessen die Reihen.

Je länger der Prozess dauert, desto mehr entwickelt sich eine eigene Dynamik. Man leidet zusammen, wenn es stickig wird am Nachmittag, oder wenn der Richter die Anfangszeit noch früher in den Morgen legt. Man weiß bald, welcher Einwand von Anwalt X oder Anwältin Y wieder kommt oder welcher Beteiligte wann nervös an den Nägeln spielt.

Die allermeiste Zeit aber heißt es bei so einem Wirtschaftsprozess: beobachten, zuhören, mitschreiben. Vielleicht ist ja doch eine neue Nuance dabei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: