Süddeutsche Zeitung

SZ Werkstatt:Gehört es zum Anspruch, aus Denkgewohnheiten auszubrechen?

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Kia Vahland, Redakteurin im Meinungsressort der SZ, über Gewissen, Gewissenhaftigkeit und Meinungsjournalismus.

Was kann eine Zeitung wie die Ihre zu den nötigen geistig-kulturellen Reformen und Denkgewohnheiten in unserer Welt beitragen? Oder begnügt sich die SZ damit, im Rahmen der üblichen Betrachtungs- und Denkgewohnheiten zu berichten und zu kommentieren?

Kai Hansen, Nürtingen

Die Süddeutsche Zeitung hat keine Agenda, von daher betreibt sie auch kein geistig-kulturelles Reformprogramm. Für Redakteure heißt das: Sie sind umso mehr dem eigenen Gewissen und der eigenen Gewissenhaftigkeit verpflichtet. Vor jedem Text, insbesondere jedem Meinungstext, gilt es, sich zu fragen: Ist das Naheliegende das Richtige? Gibt es Fakten, die dem entgegenstehen? Könnte man das anders sehen, und aus welchen Gründen genau tue ich es nicht? Folge ich dem stärksten Argument oder vielleicht doch einem Herdentrieb, dem eigenen Harmoniebedürfnis oder im Gegenteil der Lust am Draufhauen, ohne nach links und rechts zu schauen? Eine Kommentatorin ist sich am besten erst einmal selbst die schärfste Kritikerin, dann hat sie auch hinterher, nach Drucklegung, die Standhaftigkeit, ihre Positionen zu vertreten.

Guten Texten merkt man dieses Nachdenken an. Sie entfalten sich oft erst beim Schreiben, und plötzlich blitzt da ein bislang unbekannter Blickwinkel, ein überraschender, vielleicht widerspenstiger Gedanke auf, der mit den "üblichen Betrachtungs- und Denkgewohnheiten" nichts mehr zu tun hat. Wenn das klug begründet, mit Fakten belegt und anschaulich erzählt ist, denkt der oder die Lesende: So also könnte man das auch sehen. Darauf bin ich selbst nicht gekommen, vielleicht überzeugt es mich auch nicht - aber es ist doch eine Überlegung wert.

Ganz alleine sind die Schreibenden in der SZ jedoch nicht. Seit 2018 gibt es eine Meinungsredaktion, die Themen und Thesen entwickelt und sammelt, auch noch unfertige Ideen willkommen heißt und sie gemeinsam mit den Autorinnen und Autoren zum Blühen bringt. Vorgaben, was zu meinen wäre, machen wir keine. Wenn aber schon zwei Leute ein Phänomen in dieselbe Richtung kommentiert haben, nehmen wir als Dritten lieber jemanden, der dagegenhält.

Wenn alle euphorisch sind, ermutigen wir den Bedenkenträger. Und wenn jemand darauf hinweist, wo ein Skandal oder aber eine positive Entwicklung übersehen wurde, weil der Medienbetrieb wieder mal um die immer gleichen Dinge kreist, setzen wir dieses Thema. Bestenfalls finden sich dann in der Zeitung: viele Denkweisen. KIA

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Quelle:
SZ vom 21.11.2020
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