Süddeutsche Zeitung

SZ-Werkstatt:Dunklere Klänge

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Ulrike Nimz kam 2015 von der Chemnitzer Tageszeitung "Freie Presse" zur "Süddeutschen Zeitung". Seit 2018 ist sie zurück im Osten als Korrespondentin für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen - und erzählt, was sich seitdem verändert hat.

Die Stadt Chemnitz kenne ich gut. Bevor ich zur SZ ins aufgeräumte München kam, habe ich dort als Reporterin für die Lokalzeitung gearbeitet. Gewohnt in einem Haus, in dessen Keller ein Baum wuchs. Mit Nachbarn, die sich einig waren, dass Musik auch mal laut sein muss. Die Straße runter gab es ein Freibad, wo tagsüber die Chefin der Kunstsammlungen Bahnen zog, nachts die Band Kraftklub einstieg. Es war die Zeit, als Journalisten den Osten als Ort des Aufbruchs beschrieben. Tenor: Alles ist möglich.

Inzwischen hat so ein Satz einen dunkleren Klang. Was alles möglich ist, speziell in Sachsen, hat sich in diesem Sommer mit Wucht gezeigt. Als Ende August ein Deutscher bei einer Messerattacke starb, tags darauf Neonazis und Normalbürger durch die Innenstadt zogen, riet mir ein Polizist, die Straßenseite zu wechseln, man könne keine Sicherheit garantieren. Das Land war da noch wund vom Skandal um den "Hutbürger" vom Landeskriminalamt und ein festgehaltenes Kamerateam. In Chemnitz filmten Journalisten, und zwar das Zurückweichen des Staates. Die Stadt ist ein Ort des Aufbrechens geworden, vielen nur weiterer Beweis dafür, dass etwas faul ist im Freistaat. Ein Vorwurf lautet, Sachsens Polizei stünde auf der rechten Seite, aber nicht so, wie man sich das wünscht. Eine Spurensuche dazu findet sich im aktuellen Buch Zwei.

Wer in Sachsen schreibt und lebt, meistens sogar gern, spürt bald den Wunsch nach weniger Empörung und mehr Zwischentönen angesichts des Lärms, der aus den Kommentarspalten dringt. Es besteht Gefahr, jene zu überhören, die sich, ohne den rechten Arm hochzureißen, für ihr Land starkmachen. Nach den Ausschreitungen in Chemnitz sprach ich mit mehreren Polizeibeamten, mit einem bis spät in den Abend. Es ging um unbegründete Ängste, den lieben Gott und die Pflicht, Menschen zu helfen, egal woher sie kommen. Zum Abschied sagte er: "Rufen Sie mal wieder an.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2018
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