SZ-Werkstatt:Auf den Spuren des teuersten Medikaments

Medizin­journalistin Astrid Viciano über Recherchen in der Pharmaforschung in Zeiten von Corona und der Kunst, neben Einzelfällen und Emotionen von Patienten eine sachliche Perspektive und gebührenden Abstand beizubehalten.

Astrid Viciano Werkstatt

Astrid Viciano ist Ärztin und Medizinjournalistin und schreibt für das Ressort Wissen. Sie widmet sich vor allem langfristigen, grenzüberschreitenden Recherchen.

(Foto: privat)

Zum Job von uns Journalisten gehört oft eine Spur Irrsinn. Man möchte sich selbst in den Bauch boxen oder kneifen; etwa, wenn es um Medikamentenpreise geht. Wie teuer darf eine Arznei sein, die womöglich schwer kranken Kindern das Leben rettet? Egal, wie kann man so eine grausame Frage überhaupt stellen! Es geht doch um ein Menschenleben!

Da ist zum Beispiel das Telefonat mit der Mutter eines Jungen mit spinaler Muskelatrophie. Ohne eine Therapie wäre er wahrscheinlich vor seinem zweiten Geburtstag gestorben. Sie aber berichtet begeistert von seiner Behandlung, von den Fortschritten ihres Sohnes, er kann jetzt ohne Hilfe stehen, im Alter von 17 Monaten. Die tapfere, kluge Frau kann nicht nachvollziehen, warum momentan Milliarden Euro für die Erforschung von Medikamenten und Impfstoffen gegen Covid-19 versprochen werden, eine Gentherapie gegen spinale Muskelatrophie mit ihrem Preis von 2,1 Millionen US-Dollar dagegen kritisch hinterfragt wird .

Selbstverständlich ist der Wert einer Behandlung für ihren Jungen aus ihrer Sicht nicht in Euro zu bemessen. Doch gehört zur journalistischen Arbeit immer auch, sich von Emotionen und Einzelschicksalen zu lösen und eine möglichst objektive Recherchebrille aufzusetzen, mit der wir die Hintergründe eines Themas analysieren. Dann nämlich müssen wir feststellen, dass nicht alle Therapien zu beliebigen Preisen für unsere Gesellschaft bezahlbar sind. Was folgt, gleicht zunächst einem Trippeln auf wackeligem Grund: Mediziner, die sich mit spinaler Atrophie beschäftigen, möchten ihren Namen nicht in der Zeitung erwähnt sehen. Groß ist die Angst, missverstanden zu werden. Vor allem in Deutschland scheuen selbst Experten, Medikamentenpreise zu bewerten. Sind Kosten gerechtfertigt oder verdient sich die Pharmaindustrie am Schicksal der Kinder eine goldene Nase?

Es bleibt nur, sich in wissenschaftliche Studien zu vergraben, Zahlen und Fakten zu prüfen, zu hinterfragen und zu vergleichen. Und, am Ende die Recherchebrille wieder abzunehmen, um die Familien mit kranken Kindern bei aller sachlichen Analyse nicht zu vergessen.

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