Sylt-VideoWo sind die Punks, wenn man sie braucht?

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(Foto: Michael Holtschulte)

Ein 14-sekündiges Handyvideo löst eine tagelange Debatte aus, inklusive Wortmeldungen vom Bundeskanzler. Auch die Leserinnen und Leser der SZ treiben die Bilder rassistischer Gesänge um. Was folgt daraus?

„Eine Party wird zur Staatsaffäre“ vom 25. Mai und Kommentar „Pascha Paul?“ vom 25. Mai:

Angewidert

Angewidert und angeekelt von dem rassistischen Gegröle auf Sylt schreibe ich diese Zeilen. Leider ist es hierzulande keine Seltenheit mehr, dass bestimmte Zeitgenossen ihren Rassismus, Antisemitismus und Hass auf Minderheiten wie jetzt wieder auf Sylt ausleben. Das geschieht zusammen mit Sympathiebekundungen für die rechtsextreme AfD auch in Nobelhotels wie jetzt im Lokal Pony im Sylter Nobel-Urlaubsort Kampen. Gleichzeitig werden aus Niedersachsen ähnliche widerliche Vorfälle gemeldet. Das geschieht inzwischen in allen sozialen Schichten.

Endlich muss die Justiz aus diesen gefährlichen Ereignissen die Konsequenzen ziehen. Es ist begrüßenswert, dass sich die Inhaber dieses in Rede stehenden Lokals von den Vorfällen distanzieren und selbst auch juristisch gegen die Täter vorgehen wollen. Notwendig ist auch eine entsprechende personelle Ausstattung der dritten Gewalt, um der Beteiligten habhaft zu werden und entsprechende juristische Konsequenzen aufzuerlegen. Es muss endlich klar werden, dass rassistische Straftaten nicht mehr als Kavaliersdelikte betrachtet werden. Die Täterinnen und Täter haben eine gefährliche und für ein demokratisches Staatswesen wie die Bundesrepublik nicht hinnehmbare Attitüde, die alle Demokratinnen und Demokraten zum aktiven Widerstand auffordert. 

Manfred Kirsch, Neuwied

Mir kann keiner was

Staatsaffäre? Nein, es ist eine Affäre unserer Gesellschaft. Ausgiebiges und ausschweifendes Feiern gab es immer innerhalb einer elitären Gruppe, wo Geld, Moral und Regeln sich gegenseitig aufheben, angereichert mit der Gewissheit: Mir kann keiner was, und wer bist du?

Diese Gedankenwelt findet sich in allen Bundesländern, dieses unerträgliche Verhalten und Gegröle von diskriminierenden Texten zeigt sich bei vielen Festen und Veranstaltungen. Was mich hier im Besonderen nachdenklich stimmt: Wo war das Umfeld dieser Gruppe, wo waren die im Umfeld ebenfalls Feiernden? Haben sie wirklich nichts gehört? Und es ist leider nicht nur bei Veranstaltungen dieser Form zu hören. Diese Erhebung des eigenen Ichs über den anderen – dagegen muss aus unserer Gesellschaft heraus eine Reaktion erfolgen. Das verlangt Rückgrat und Mut.

Manfred Jenschke, Gilching

Warum schritt niemand ein?

Das Verhalten der anderen anwesenden Gäste ist mir unverständlich. In einer solchen Situation erwarte ich, dass man sofort die Polizei ruft und dann aufsteht und lautstark gegen diese Äußerungen eintritt. Sinnvoll wäre es, Menschen an Nachbartischen direkt anzusprechen, auch aufzustehen und einzuschreiten. Wer, wenn nicht wir alle, soll unsere Demokratie und unsere Freiheit verteidigen. Ich bin entsetzt.

Dr. Ingrid Bausch-Gall, München

Menschenverachtung in der Popkultur

Diese Verrohung findet nicht nur in den politischen Umgangsformen statt. Sie betrifft unsere gesamte Gesellschaft. Seit Jahrzehnten ist eine Steigerung menschenverachtender Aussagen und Texte auch in der Popkultur zu beobachten und zur Normalität geworden. In Rap-Songs etwa werden Frauen als Huren bezeichnet, die man gerne vergewaltigen würde, die mit obszönen Worten beschrieben werden, die man an dieser Stelle nicht wiedergeben möchte. Und das Publikum – einschließlich der Frauen – grölt mit.

Unter dem Deckmantel der Meinungs- und Kunstfreiheit, zweifelsohne hohe demokratische Werte, wurden die Grenzen eines gesellschaftlichen Konsenses hemmungslos in Richtung Verrohung und Beleidigung verschoben. Algorithmen und Internet verstärk(t)en und potenzier(t)en diesen Trend. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es in unserem Grundgesetz. Es ist unsere politische und gesellschaftliche Aufgabe, sich täglich und immer wieder aufs Neue dafür einzusetzen.

Gabriele Lauterbach, Überlingen

Zu viel Aufmerksamkeit

Derzeit grölen auf Festen und ähnlichen Anlässen mehr oder weniger Angetrunkene rassistische und rechtsradikale Parolen. Zwar mag bei einem Teil dieser Leute tatsächlich eine rechtsradikale Überzeugung zugrunde liegen, der größere Teil dürfte aber „nur“ provozieren wollen. Weil dem Video von Sylt so große Publicity zuteilgeworden ist, in der Boulevardpresse, aber auch in den einschlägigen Nachrichtensendungen, wurde die Sache für mein Dafürhalten zu hoch gehängt. Selbst der Kanzler und der weiterhin glücklos agierende Bundespräsident Steinmeier fühlten sich bemüßigt, Ekel und Abscheu zu äußern angesichts des Gegröles von „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“. Damit wurde diesen Leuten zu viel Aufmerksamkeit zuteil.

Es wäre besser gewesen, diese Vorfälle zwar zu kritisieren, ihnen aber keine größere Bedeutung beizumessen. Schon gar nicht hätten Kanzler und Bundespräsident mit ihren Äußerungen dem Gegröle noch mehr Gewicht verleihen dürfen. Natürlich sind diese Parolen abzulehnen, aber lassen wir sie doch ein wenig links, in dem Fall besser rechts liegen und schenken ihnen nicht dieses Maß an Publicity. Auch wenn sich diese Vorfälle in letzter Zeit häufen, so lehnt doch die große Mehrheit der Bürger Rechtsradikalismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus ab. Daran wird sich auch nichts ändern. 

Josef Geier, Eging am See

Wir haben ein Problem

Früher wurde das Problem Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus auf den Osten und seine Geschichte geschoben oder auf mangelnde Bildung. Leider stellt sich jetzt heraus, dass das Problem ganz Deutschland betrifft. Auf Sylt in einem Club mit 150 Euro Eintritt bei den Jungen und Reichen, bei einem Schützenfest in Löningen, bei der Erlanger Bergkirchweih oder in einem Stadel bei einer ehemaligen Schule in Oberbayern, überall wird „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ gerufen. Ich weiß als Lehrer auf vieles eine Antwort, aber hier bin ich einfach sprachlos, unendlich traurig und weiß keine Lösung. Hallo Houston, wir haben ein riesiges Problem!

Walter Rädler, Vaterstetten

Hohe juristische Hürden

Bei all der Berichterstattung der vergangenen Tage fehlt mir der Hinweis auf die Unschuldsvermutung, und nach meiner Auffassung gilt diese so lange, bis ein Urteil erfolgte. Recherchiert man, so kommt man zur Erkenntnis, dass zu diesem Ausspruch noch kein vergleichbares rechtskräftiges Urteil bekannt ist, somit ist eine Vorverurteilung bei all den Kolumnen und Essays erfolgt. Auch zum Arbeitsrecht gibt es widersprüchliche Aussagen beziehungsweise Urteile.

Moralisch sind diese Aussagen verwerflich, journalistisch ist die Berichterstattung fragwürdig, da sie sich maßgeblich auf die eine Situation (Sylt) bezieht und die anderen Vorfälle am Rande erwähnt bleiben, was zu einer bewussten Spaltung der Bevölkerung führen wird.

Auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und des Staatsschutzes bin ich gespannt und harre der Dinge, die sich daraus ergeben.

Helmut Schuessler, Augsburg

Verwunderlicher Merz

Friedrich Merz fragt sich: „Was geht eigentlich in den Köpfen dieser Leute vor, das ist doch auch mit Alkoholkonsum nicht mehr zu erklären.“ Notabene: derselbe Merz, der gern vom Sozialtourismus von Ausländern fabuliert, die uns die Zahnarzttermine wegnehmen und deren Kinder sich wie kleine Paschas aufführen. Aber es auch noch zu singen, das geht zu weit!

Raimund Poppinga, Hannover

Schwer vergleichbare Fälle

Sorry SZ, aber ich habe selten einen so dummen Kommentar gelesen. Grundsätzliche Regel einer seriösen Zeitung sollte immer sein, dass man keine Relativierungen insbesondere bei Themen mit rassistischem Kontext zulässt. Das geht immer schief. So ekelhaft ich den Sylt-Vorfall und die CDU-Aktion in Berlin mit den Vornamen auch finde – ich kann nicht erkennen, wie diese Fälle vergleichbar sein sollen.

Im einen Fall wurden widerliche Nazi-Parolen gegrölt und im anderen Fall (und das halte ich für gravierender) wurden neben massiven Sachbeschädigungen auch Personen mit Feuerwerkskörpern angegriffen, bedroht und zum Teil auch verletzt. Frau Ramadan sollte nicht so naiv sein und nach den Namen der Sylt-Schnösel fragen, denn diese sind in sozialen Netzwerken bereits allen bekannt.

Holger Krieg, München

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