Studie zum Bundestag:Andere Interpretation

Replik auf "Danke für nichts" vom 6./7. März über die Rolle von Abgeordneten mit Migrationshintergrund im Deutschen Bundestag:

In unserem Artikel ging es darum herauszufinden, ob Abgeordnete, die politisch unterrepräsentierten Gruppen angehören, gruppenbezogene Inhalte thematisieren und ob sich die zu beobachtenden Muster im Karriereverlauf verändern. Auf der Grundlage großer und kleiner Anfragen konnten wir zeigen, dass es gruppenbezogene Schwerpunktsetzungen gibt, die allerdings je nach Gruppe unterschiedlich stark ausfallen. Mit Ausnahme der weiblichen Abgeordneten, die auch nach mehreren Legislaturperioden noch gruppenbezogene Schwerpunkte aufweisen, verschwinden diese Schwerpunktsetzungen im Laufe einer Karriere der analysierten Abgeordneten. Bei den Abgeordneten mit Migrationshintergrund sind die Schwerpunkte zunächst am deutlichsten und verschwinden vergleichsweise spät.

Dies heißt aber keinesfalls, dass sich diese Abgeordneten nur um Gruppeninteressen kümmerten, sondern sie behandeln ganz verschiedene Themen. Abgeordnete setzen, ganz unabhängig davon, welchen Gruppen sie angehören, inhaltliche Schwerpunkte in ihrer Parlamentsarbeit. Parteizugehörigkeit, Wohnort, die Berufsgruppe und eben auch persönliche Merkmale haben Einfluss darauf, welche Themen eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter im Bundestag behandelt.

Oft legen die Fraktionen besonderen Wert auf einzelne Personen und die mit ihnen verbundenen Expertisen und Erfahrungen. Und wenn kritisiert wird, dass Politikerinnen und Politiker zu sehr mit sich und den Schwerpunktsetzungen ihrer Parteien und Fraktionen beschäftigt sind, dann ist es doch aus repräsentationstheoretischer Sicht zu begrüßen, dass ihre persönlichen Erfahrungen und Expertisen Einfluss auf ihr Handeln haben. Mit der Zeit, und das zeigt unsere Analyse sehr gut, treten diese Bezüge jedoch in den Hintergrund, und das ist im Lichte einer längeren Parlamentszugehörigkeit auch zu erwarten.

Wir müssen Herrn Babayiğits Interpretation in dem Artikel, dass wir Abgeordnete mit Migrationshintergrund nur dann akzeptierten, wenn sie sich im Bundestag für andere Menschen mit Migrationshintergrund einsetzten, zurückweisen. Abgeordnete, ob Juristinnen oder Klempner, ob Oberbayer oder Ostfriese, ob türkeistämmig oder nicht, sind zunächst Repräsentantinnen oder Repräsentanten aller Deutschen.

Und ein Parlament mit geeigneten, leistungsbereiten und unterschiedlichen Gruppen angehörenden Parlamentarierinnen und Parlamentariern ist sicherlich wünschenswert. Dass es keine Hürden oder Hindernisse für Angehörige unterrepräsentierter Gruppen geben sollte, Abgeordnete werden zu können, ist unsere Überzeugung. Nur, davon handelt unser Artikel nicht.

Prof. Stefanie Bailer (Universität Basel), Prof. Christian Breunig (Universität Konstanz), Prof. Nathalie Giger (Universität Genf) und Prof. Andreas M. Wüst (Hochschule München)

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: