Süddeutsche Zeitung

Straßenverkehr:Neue Weichenstellungen sind nötig

Nachdem jetzt auch auf einer Autobahn ein Fahrverbot für ältere Diesel-Fahrzeuge ausgesprochen wurde, fragen sich viele Deutsche, wo das alles noch hinführen soll. Leser regen an, die gesamte Verkehrspolitik zu überdenken.

"Bürgerkrieg auf der Straße", "Gericht verhängt Fahrverbot auf Autobahn" sowie "Das große Reinemachen" vom 16. November:

Zu viel Wirbel um den Diesel

Statt in Dieselfahrzeugen derzeit den größten Sündenbock für Luftbelastungen zu sehen, sollte man endlich in der Verkehrspolitik nachhaltige Weichenstellungen vornehmen. Nicht wenige sind geradezu von einem Dieselfieber ergriffen. Wie passt das zu einer Bahnpolitik, die in manchen Regionen auf Vorkriegsniveau stehen geblieben ist? Noch immer verkehren schwerfällige Dieselloks wie zum Beispiel im ostbayerische Chemiedreieck. Auch gibt es immer noch kaum Möglichkeiten, unzählige Diesel-Lkw auf die Bahn zu verlagern. Wie viele Lkw aus südosteuropäischen Ländern belasten unnötig Straßen, die durch eine pseudogrüne Verhinderung eines tragfähigen Schiffsverkehrs auf der Donau auf Straßen ausweichen müssen, so dass naheliegende Autobahnen zunehmend überlastet sind und immer wieder tödliche Unfallopfer verursachen? Dass die klimafreundliche und Energie schonende Bahn immer noch zuwenig in Anspruch genommen wird, liegt auch daran, dass die etablierten Parteien bei Investitionen für einen attraktiven und flotten Bahnverkehr wenig übrig haben. Was ist das für eine Steuerpolitik, wenn der Bahnfahrer mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belastet wird, während der umweltschädigende Flugzeugbenutzer steuerlich geschont wird? Kein Wunder, dass eine Bahnfahrt von Hamburg nach München mehr kostet als ein Flug nach Mallorca.

Momentan scheint der überzogene Wirbel um den Diesel all die viel größeren Umweltgefahren vergessen zu lassen, wenn durch den überstürzten Atomausstieg Stromerzeugung hauptsächlich durch Kohleverbrennung erfolgt. Höchste Zeit, festgefahrene Denkstrukturen auf allen politischen Ebenen zu durchbrechen. Wenn sich die Deutsche Umwelthilfe weiterhin einseitig auf Dieselfahrzeuge einschießt, bleibt sie unglaubwürdig und macht sich schuldig, wenn die deutsche Autoindustrie kaputtgeredet wird.

Simon Kirschner, Bad Endorf

"Kollateralschaden" Fußgänger

Endlich hat die SZ den aktuellen Straßenverkehr als das dargestellt, was er wirklich ist: Krieg. In Adrian Lobes Artikel vermisse ich allerdings den Hinweis auf die sogenannten "Kollateralschäden". Das sind die Schäden, die all jene erleiden müssen, die nicht zu den eigentlich Kombattanten zählen. Im Straßenverkehr rechne ich die Pkw-, Bus- und Lkw-Fahrer zu den Kombattanten. Fußgänger sind per se keine Verkehrsteilnehmer. Sie könnten ohne jede Regelung, mit einfachen Straßen, ohne Ampeln, Brücken (außer über Flüsse) etc. auskommen. Fußgänger unter sich verursachen keine verkehrsbedingten Unfälle. Fußgänger werden nur durch das Verhalten derjenigen, die gefährliche Gegenstände (Autos, Lkw, Busse, Züge) zu ihrer Fortbewegung benutzen, in die Rolle des Verkehrsteilnehmers gezwungen. Sie haben sich diese Rolle zumeist nicht ausgesucht.

Es sind zunächst die Kinder, die meisten Jugendlichen, Menschen mit Gebrechen und ältere Menschen. Wie in jedem Krieg findet das Leiden dieser "Unbeteiligten" kaum Beachtung. Auf Deutschlands Straßen verunglückten im Jahr 2017 über 29 000 Kinder, über 18 000 Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren (Kinder und Jugendliche auch als Radfahrer) und fast 50 000 Personen von 65 Jahren und älter, darunter 6805 Senioren als Fußgänger. Insgesamt also "Kollateralschäden" an fast 100 000 Personen im Jahr 2017. Von den 3180 Verkehrstoten im Jahr 2017 waren 483 oder 15,2 Prozent Fußgänger.

Die Schäden durch Abgase, Feinstaub und Lärm sind in diesen Zahlen hunderttausendfachen Elends nicht mitgerechnet. Diese Geschädigten dieser "Kollateralschäden" haben nirgends eine Lobby. Kinder und Jugendliche dürfen noch nicht wählen, und gemeinsam mit den älteren Menschen sind sie keine beachtenswerte Gruppe von Konsumenten. Deshalb haben Sie in diesem Straßenkrieg auch keine Chance.

Dr. Gottfried von Aulock, München

Realitätsferne Manager

Adrian Lobe fragt zu Recht: "Was ist der Nutzen einer Technik, die zwar Mobilität ermöglicht, aber den Tod von tausenden Menschen fordert?" Die Bürgermeisterin von Paris bringt es mit dem Titel ihrer Streitschrift auf den Punkt: "Respirer." Die Werbung eines großen Autobauers zu seinen Autos gibt auf beides eine Antwort: "Gebaut, um den Atem zu rauben." Ich bezweifle, dass eine technologiekritische Diskussion weiterführt. Betrugssoftware, die in den Unternehmen unerkannt bleibt, oder Werbung, deren arrogante Dummheit niemandem auffällt, weisen auf ein wesentlicheres Problem hin. Die deutsche Autoindustrie scheitert zunächst an ihrer realitätsfernen Managementkultur. Hier müsste die Kritik ansetzen.

Hermann Pütter, Neustadt

Lobbykratie statt Demokratie

Es gibt eine Definition, der zufolge ein Rechtsstaat ein Gebilde ist, in dem der Staat immer Recht hat. Im Zweifelsfalle strickt er eben so lange an einem Gesetz herum, bis es die eigenen Absichten abdeckt. Darüber hinaus zeigt der aktuelle Fall des Unterlaufens richterlicher Anordnungen von Fahrverboten zum Schutz der Bevölkerung gemäß übergeordnetem EU-Recht wieder einmal, wer hierzulande wirklich das Sagen hat. Lobbykratie statt Demokratie. Und was heißt in diesem Zusammenhang unverhältnismäßig? Welche Gefährdung - mit Toten und Kranken in der Folge - glaubt man in Kauf nehmen zu dürfen, damit die Gewinne auch bei den Unternehmen weiter sprudeln, die - wiederum hierzulande ungestraft - jahrelang alle Welt betrogen haben und sich bis heute einer Wiedergutmachung verweigern? Donald Trump als hartnäckiger Leugner des Klimawandels dürfte sich vor Vergnügen über das offizielle Outing der vermeintlichen Umweltschützerin Merkel und ihrer Regierung auf die Schenkel geschlagen haben.

Dr. Friedrich Leibbrandt, Kürten

Tempolimit wäre die Lösung

Das Fahrverbot auf einer Autobahn klingt fortschreitend, den Autoverkehr reduzierend. Trotzdem ist das Gefühl nicht loszuwerden, dass wieder einmal um einen/den heißen Brei herumgeschrieben wird bzw. unser liebstes Kind nur ja nicht tangiert werden darf. Eine sehr billige Lösung wäre doch schlicht und ergreifend ein Tempolimit. Das könnte auf einen Schlag ohne irgendwelche komplizierten Neuerungen, die ja bekanntlich Jahre der Entwicklung bedürfen, den Spritverbrauch und damit die leidigen Abgase deutlich reduzieren. Und geht es nicht bei allgemein langsamerem Tempo insgesamt (viel) schneller und mit viel weniger Staus?!

Emma Rasp, Landshut

"Zur Seite atmen"

Ich bin vom Fahrverbot in Essen begeistert. Als Radfahrer in Essen stelle ich mich auf schlechte Luft im Stadtgebiet ein. Die Krux ist nicht nur NOx. Die Luft stinkt nach Diesel, und an Kreuzungen bleibt mir nur noch das "zur Seite atmen", wenn um mich herum die Diesel brummen. Jeder Autofahrer konnte sich jetzt schon sehr lange auf dieses Szenario vorbereiten. Pikanterweise gab es am Tag der Gerichtsentscheidung einen +2h Stau auf der A40 in Essen. Demnach sollten auch Staufahrer von der Gerichtsentscheidung angetan sein, da demnächst 80 000 Autos theoretisch weniger unterwegs sind.

Das Problem des alternativen ÖPNV ist allerdings, dass dieser nicht vom Himmel fällt. Hier ist nichts vorbereitet. Als S1-Nutzer habe ich auch die Erfahrung: Doppelzüge sind auf eine Einheit reduziert und eine bessere und schnellere Taktung gibt es nicht. Also lieber Armin Laschet, hier gibt es was zu tun. Keine Energie in Klagen stecken, sondern die Infrastruktur verbessern.

Thomas Neumann, Bochum

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Quelle:
SZ vom 26.11.2018
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